Wie schwer ist es, 30 Prozent der Erdfläche unter Schutz zu stellen?

Etwa 8,7 Millionen Arten von Lebewesen gibt es auf der Erde, Tiere und Pflanzen. Die Zahl ist nicht gesichert, weil noch immer Arten entdeckt werden. Gesichert ist viel mehr, dass wir seit einigen Jahrzehnten ein Massensterben beobachten. Wissenschaftler sprechen längst vom sechsten Massensterben, wobei das fünfte derartige Ereignis vor 66 Millionen Jahren ein Kometeneinschlag ausgelöst hat (Chicxulub-Krater in Mexiko). 75 Prozent der damals lebenden Arten wurden dabei ausgelöscht.
Laut dem im Mai 2019 publizierten Globalen Bericht des Weltbiodiversitätsrats der UN-Organisation IPBES sind heute eine Million Tier- und Pflanzenarten innerhalb der nächsten Jahrzehnte vom Aussterben bedroht, und der Grund ist der Mensch: der Verlust von Lebensraum, Veränderungen in der Landnutzung, Jagd und Wilderei, der Klimawandel, Umweltgifte sowie das Auftreten von Neobiota. Letztere sind Tiere und Pflanzen, die der Mensch in Regionen gebracht hat, wo sie zuvor nicht heimisch waren, und die sich dort extrem schnell ausbreiten und bestehende Arten verdrängen oder vernichten.
Seit über 30 Jahren wird darüber auch auf UN-Ebene gesprochen und über Gegenmaßnahmen verhandelt. Noch bis Montag tagt die 15. Welt-Umweltkonferenz im kanadischen Montreal, von der Konferenz wird nichts weniger erwartet als ein weltweites Abkommen ähnlich dem Pariser Klimaschutzabkommen.
Auf der Agenda stehen 22 Maßnahmen, die verhandelt werden. Die wichtigsten davon sind:Ein Abkommen, dass jeder Staat bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent seiner Landes- und Meeresfläche unter Schutz stellt. Eingriffe in die Natur sind dann nur mehr unter Auflagen möglich.
Ein Abkommen, das Länder daran finanziell beteiligt, wenn Heilpflanzen in ihrem Land gefunden werden, die kommerzielle Produkte ermöglichen (Digital Sequence Information).
Ein neuer Biodiversitätsfonds, der ärmere Staaten finanziell unterstützen soll, ihre Ressourcen nicht auszubeuten, sondern zu schützen (Regenwald).
Was einfach klingt, ist im Detail offenbar äußert schwierig, umzusetzen.
Bei den Schutzgebieten sind nicht alle Staaten dafür, Staaten wir Indien, Indonesien oder Malaysien sehen 30 Prozent als viel zu hoch an. Derzeit dürften rund 13 Prozent der Landfläche und sechs Prozent der Meeresfläche unter Schutz stehen. Offen ist die Frage nach der Art des Schutzes. Die „International Union for Conservation of Nature (IUCN)“ kennt sieben unterschiedliche Arten von Schutzgebieten, von strengen Schutzgebieten/Wildnisgebieten (Kategorie Ia) bis zu „Ressourcenschutzgebiet oder Kulturlandschaft mit Management“ (Kategorie VI).
In Österreich sind drei Prozent der Bundesfläche streng geschützte (IUCN: I+II) und ca. 14 Prozent geschützte Gebiete (IUCN: III+IV). Dann gibt es teilweise bzw. eingeschränkt geschützte Gebiete (IUCN: V+VI), die einander oft überlagern, wie z.B. Landschaftsschutzgebiet und Geschützte Landschaftsteile. Auf diese Gebiete entfallen insgesamt rund 12 Prozent der Bundesfläche (Überlagerungen von Schutzgebieten unterschiedlicher Kategorien herausgerechnet). Insgesamt sind somit 28,8% der Fläche Österreichs geschützt. Somit ist Österreich jetzt schon nahe dran, das „30x30“-Ziel zu erfüllen.
Andererseits versucht die Bundesregierung seit bald zwanzig Jahren, den Flächenfraß (Versiegelung) zu bremsen. Im Schnitt der vergangenen Jahre lag dieser bei etwa 11 Hektar pro Tag, das Ziel liegt be nur mehr zwei Hektar. Dass liegt allerdings in der Verantwortung der Bundesländer. Vor allem in den Innenstädten hat nur noch ein geringer Anteil des Erdbodens direkten Kontakt zur Luft. Die Zersiedelung "treibt" die Bodenversiegelung immer weiter in noch unbebaute Bereiche hinein. Ein Hauptgrund für die wachsende Bodenversiegelung ist der Ausbau von Gewerbegebieten und Verkehrsanlagen wie Straßen und Flughäfen. Die größten Anteile an der Flächeninanspruchnahme hatten im Zeitraum 2013 bis 2020 Betriebsflächen und Wohn-/Geschäftsgebiete. Details finden Sie hier
Auf Welt-Eben ist nun noch die Frage zu klären, wie transparent und überprüfbar diese Schutzzonen ausgestaltet werden sollen. Es wird dafür regelmäßige Überprüfungen bis 2030 geben. Braslien gilt (gemeinsam mit Argentinien) als einer der Bremser beim 30-Prozent-Ziel. Noch sind die Delegierten vom bereits abgewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bosonaro in Montreal am Werk, und Bolsonaro war für vieles bekannt, aber sicher nicht für den Natur- oder Artenschutz.
Nicht weniger spannend ist die Diskussion rund um die Digital Sequence Information, das auch unter Gen-Piraterie bekannt ist. Alle Lebewesen haben Zellkerne mit einzigartigen Gensequenzen, fast wie bei einem digitalen Code vom Computerprogrammen.
Jetzt geht um die einfache Frage des Zugangs zur Genetik der Tiere und Pflanzen, und zur komplizierten Frage wer an Gewinnen aus diesen Datensätzen beteiligt werden soll – vor allem die Länder, in denen solche Pflanzen heimisch sind, wollen Geld sehen.
Es ist kein Geheimnis, dass die Wissenschaft immer wieder Durchbrüche erzielen, weil sie verstehen, wie Pflanzen bestimmte Herausforderungen meistern oder was sie alles können. Und die Genetik ist eine äußerst junger Zweig der Wissenschaft: 1984 startete ein Projekt zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Das hat fast 20 Jahre gedauert und Milliarden gekostet. Heute kann ein Genom in einigen Stunden entschlüsselt werden, und es kostet weniger als tausend Euro. Zudem gibt es heute mit der so genannten Gen-Schere CRISPR/Cas9 (Nobelpreis für Chemie 2020 an Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier) ein Werkzeug, das einen Gencode so einfach zerlegen und zusammensetzen lässt, wie ein Word-Dokument.
Kein Wunder, dass zahlreiche Anwendungen bereits möglich wurden: Nicht zuletzt die mRNA-Impfstoffe gegen das Sars-CoV2, neue Medikamente, der Schutz vor illegalen Waren (geschützte Fischarten), Überwachung invasiver Arten oder Schädlingskontrolle, und vieles mehr.
Zuletzt zur Frage des Geldes: Bei der Konferenz in Montreal zeichnet sich ab, dass sich die Staaten auf einen neuen Fonds einigen, der ärmeren Staaten helfen soll, auf die (extensive) Nutzung sensibler, artenreicher Gebiete zu verzichten. Wie der Fonds genau operieren soll, ist noch nicht restlos geklärt.
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