Wie Nawalny mit einer App die Russland-Wahlen beeinflussen will
Russland wählt seine Volksvertretung. Und wie schon so oft in den vergangenen Jahrzehnten, weiß man bereits, wer das Rennen machen wird. Die Duma, das Parlament in Moskau, wird wohl auch nach dem Urnengang, der am Freitag beginnt, wieder voll in der Hand von kremltreuen Parteien wie "Einiges Russland" sein.
Nicht unbedingt, weil die Mehrheit der Russen das so wünscht, sondern weil jene, die es nicht wünschen, durch viele Tricks davon abgehalten werden, von ihrem aktiven oder passiven Wahlrecht Gebrauch zu machen. Fast alle bekannten Oppositionellen sind von den Behörden aus teils fadenscheinigen Gründen von der Wahl ausgeschlossen worden.
Desillusionierte Russen vor der Duma-Wahl
Doch es gibt eine Handvoll Aktivisten, die diesem Schicksal entgegenwirken wollen. Einer davon ist Alexej Nawalny. Doch der mittlerweile weltbekannte Kremlkritiker sitzt in einem Gefängnis in Russland und kann kaum eingreifen. Seine Freunde und Verbündeten innerhalb und außerhalb Russlands sind fest entschlossen, dem Präsidenten Wladimir Putin bei den Dumawahlen zumindest einen schmerzhaften Schlag zu versetzen.
Wie das gehen soll? Die Gruppe nennt das "Smart Voting".
Wählen mit Hilfe der App
Man kennt die Taktik etwa aus Ungarn, aber auch von den letzten russischen Regionalwahlen 2019: In jedem der 225 Wahlbezirke sollen oppositionelle Wähler sich hinter einem bestimmten Kandidaten vereinen, der dort gegen den Kandidaten von Einiges Russland antritt. Egal, ob dieser Oppositionelle der eigenen Ideologie entspricht oder nicht.
"Smart" ist die Strategie aber nicht nur, weil dahinter ein ausgeklügeltes System steckt, sondern auch, weil die Putin-Gegner dazu eine Smartphone-App entwickelt haben. Sie heißt – passenderweise – "Nawalny". Dort gibt man den Wahlkreis ein – die App schickt dem User dann den Namen jenes Kandidaten, für den man stimmen soll, um am ehesten gegen den Kremlkandidaten eine Chance zu haben. Grundlage dafür sind Umfragen, Social-Media-Auswertungen und Experteninterviews.
"Wir wollen, dass so viele nicht vom Kreml zugelassene Politiker wie möglich in die Parlamente gelangen, auch in die regionalen", sagte Ruslan Shaveddinov, der die Strategie mitentwickelt hat, der New York Times.
Nawalny: "Besser als beschweren"
Den Wahlsieg wird man der Kremlpartei Einiges Russland dadurch wohl nicht streitig machen. Das Ziel sei vielmehr, "Turbulenzen im System" zu erzeugen. Auch in Hinblick auf die mögliche Nachfolge für Wladimir Putin, die in den nächsten Jahren im Raum steht.
"Wenn du den Namen eines Kandidaten durch Smart Voting erhältst und auch wählst, wirst du 1.000 Prozent einflussreicher und mächtiger sein als wenn du zuhause sitzt, dich beschwerst und nichts tust", schrieb Nawalny in einem Brief aus dem Gefängnis.
Pentagon wird verdächtigt
Laut unabhängigen Umfragen können nur rund 14 Prozent der Russen mit der Person Alexej Nawalny etwas anfangen. Doch unzufrieden mit dem Kreml sind viel mehr.
Die Wahlen in Russland sind weder frei, noch fair, sind sich Beobachter einig. Dennoch finden sie immer wieder statt, um zumindest einen Schein der Legitimität zu erzeugen. Und die Entourage des Präsidenten ist auf der Hut. Nachdem man versucht hat, die wichtigsten Oppositionsfiguren auszuschalten, wird man jetzt versuchen, die Wahlbeteiligung gering zu halten, um den Kremlgegnern mit ihrer Strategie keine Chance zu lassen.
Und man versucht mit Blockaden, die App zu bremsen. Die russische Internet-Regulierungsbehörde hat den Zugang zur Smart-Voting-Website gesperrt und verlangt von Google und Appledie App "Navalny" aus ihren App-Stores zu entfernen – bisher ohne Erfolg. Für den Kreml ist klar: Die USA mischt sich damit in die russischen Wahlen ein. Das Außenministerium will sogar Beweise haben, dass das Pentagon hinter der App steckt.
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