Wahlen, bei denen Putin nicht gewinnen, aber viel verlieren kann
Verstummte Stimmen der Opposition, blockierte Kandidaturen von Unabhängigen, Meldungen über gekaufte Stimmen und die Einschüchterung von Wählern. Bei kremlnahen Firmen etwa soll in der Personalabteilung gewählt werden, schildert der russische Soziologe und Journalist Konstantin Gaase. Und zwar am öffentlichen Computer, für jeden sei nachvollziehbar, wo man sein Kreuz gemacht hat.
Die Opposition in Russland warnt vor massivem Betrug bei den Parlamentswahlen, die von 17. bis 19. September über die Bühne gehen. Es seien die „am wenigsten freien Wahlen“ in den vergangenen 21 Jahren, seit Wladimir Putin das erste Mal Präsident wurde.
Ergebnis absehbar
Und die Sieger stehen längst fest. Niemand in Russland zweifelt daran, dass die Kremlpartei Einiges Russland bei der Duma-Wahl die Nase weit vorne haben wird. Die Frage ist nur, wie weit vorne. Sie stellt auch jetzt schon 343 der 450 Sitze.
Ganz ohne Gegner wird es aber auch nicht gehen. Man wolle das „Belarus-Szenario“ vermeiden, sagt Gaase. Er geht deshalb davon aus, dass neben den Kreml-nahen Parteien wie den Kommunisten auch eine kleine liberale Opposition im neuen Parlament in Moskau vertreten sein wird. „Drei bis fünf liberale Gesichter“ könnten es ins Parlament schaffen, wie etwa die Moskauer Direktkandidatin Marina Litwinowitsch, sagte Gaase, der für den vor allem bei jungen Regierungsgegnern populären Podcast Meduza arbeitet. Für eine eigene Fraktion werde es aber wohl nicht reichen.
Personalrochaden im Kreml
Konstantin Gaase erwartet, dass nach der Wahl eine Art Postenschacher ausbricht. Abgesehen von einem neuen Parlamentspräsidenten könnten der Premier, der Moskauer Bürgermeister oder wichtige Minister in der Folge ausgewechselt werden. Auch im Kreml selbst stünden Personalrochaden bevor.
Der Soziologe Gaase war gemeinsam mit der russischen Expertin für Internationale Beziehungen Tatjana Romanowa, am Donnerstag zu Gast in einem Online-Seminar des forum journalismus und medien (fjum). Dort stellten sich die beiden der Frage, ob die Zusammensetzung der Duma überhaupt einen Einfluss auf den Alltag der Russinnen und Russen oder die Beziehungen Russlands mit dem „Westen“ habe. Abgesehen von innerrussischen Themen wie Gesundheit, Bildung, Budget werde es „an den russisch-europäischen Beziehungen kaum etwas ändern, wer in der Duma sitzt“, sagt Gaase. Auch Romanowa geht davon aus, dass sich nach außen erst einmal nicht viel ändern wird. „(Außenminister Sergej, Anm.) Lawrow ist ja immer noch hier – einer der längstdienenden Minister Russlands. In der Außenpolitik spiele das russische Parlament nur eine geringe Rolle.
Nachfolgefrage
Doch auf längere Sicht, glaubt Gaase, wird durchaus wichtig sein, wie das Parlament besetzt ist. Denn spätestens in „zwei bis drei Jahren“ sei die politische Krise vorprogrammiert. Denn 2024 geht es das nächste Mal um die Wahl des Präsidenten. In der Frage um seine eigene Nachfolge sei es für Putin wichtig, ein ihm freundlich gesinntes Parlament hinter sich zu wissen. „Das Spiel des demokratischen Transits kannst du nicht ohne die Repräsentanten des Volks spielen“, weiß der Soziologe. „Das ist das Paradoxe an diesem Urnengang“, sagt er. „Niemand im Kreml behandelt die Wahlen als Wahlen. Sondern als einen Schlüssel, um die Tür zur Putin-Nachfolge aufzuschließen.
Putin hatte im vergangenen Jahr per Verfassungsänderung den Weg freigemacht, bis 2036 regieren zu können – wenn er bei den Wahlen 2024 und 2030 antritt. Ursprünglich erlaubte die Verfassung nur zwei Amtszeiten hintereinander.
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