Bei der Ansprache, da saß er noch lächelnd in der ersten Reihe. In den sozialen Netzwerken amüsierte man sich sogar darüber, dass Dmitrij Medwedew kurz eingeschlafen sein soll, als Wladimir Putin am Mittwoch seine traditionelle Rede zur Lage der Nation hielt.
Ein paar Stunden später war Medwedew als Premier Geschichte.
Was ist da passiert?
Dmitrij Medwedew, der lange Zeit als Putins engster Vertrauter galt, hat am Mittwoch seinen Rücktritt eingereicht. In einem TV-Auftritt mit Putin erläuterte er die Entscheidung, die er – so die offizielle Aussage – „gemeinsam mit Putin getroffen hat“. Er wolle dem Präsidenten den Weg für dessen Staatsreformen freimachen, so der scheidende Premier.
Das klingt auf den ersten Blick paradox: Putin hatte nämlich nur einige Stunden zuvor in seiner Rede zur Lage der Nation eine „Verfassungsreform“ angekündigt, die die Rolle des Parlaments und auch des Premiers – also Medwedew – deutlich stärken soll; der Präsident hingegen solle Kompetenzen abgeben.
Sieht man genauer hin, so war dieser Staatsumbau natürlich nie dafür gedacht, Medwedew zu stärken. Der 54-Jährige ist einer der unbeliebtesten Politiker Russlands, seit er vor zwei Jahren über einen Korruptionsskandal stolperte. Kremlkritiker Alexej Nawalny hatte ihm damals nachgewiesen, Yachten, Schlösser und Weingüter angesammelt zu haben, und das vermutlich auf nicht gerade legalem Wege. Die Enthüllung hatte Tausende auf die Straße getrieben. Das Video, in dem Medwedews beinahe unanständiger Reichtum zur Schau gestellt wird, wurde bisher 33 Millionen Mal angeklickt.
Wenig verwunderlich also, dass Medwedew nicht nur den Ruf als Putins Statthalter im Premiersamt hatte, sondern auch jenen als Sündenbock des Kremlchefs. „Medwedew wurde gefeuert“, mutmaßt darum Tatiana Stanovaya von CarnegieRussia. Als Nachfolger wurde darum auch der bisher recht unbekannte Chef der Steuerbehörde, Michail Mischustin, von Putin nominiert – das passt zu dieser Sichtweise.
Medwedew sei für Putin toxisch geworden, und sein Abgang mache einen Machtwechsel im Sinne Putins leichter, sagt sie: Die Verfassungsreform, die Putin noch in diesem Jahr in Gesetzesform gießen will, soll nämlich niemandem außer ihm dienen – sie soll seine Macht über das Jahr 2024 hinaus sichern.
Über Mischustin will das Parlament bereits am Donnerstag beraten - und am Nachmittag eine Entscheidung bekannt geben.
Rollenwechsel
Laut geltendem Recht darf der Langzeitpräsident – er feierte zum Jahreswechsel sein 20-jähriges Jubiläum als Machthaber – bei der Präsidentenwahl 2024 nicht mehr antreten; die Verfassung verbietet ihm mehr als zwei Amtszeiten in Folge. Um sich nicht den Ruf als verfassungsfeindlicher Autokrat zu sichern, fällt Putins Staatsumbau subtiler aus – er wechselt die Rolle: Entweder, so die Einschätzung des Thinktanks CarnegieRussia, übernimmt er dann – oder sogar früher – das Amt des aufgewerteten Premiers. Das war schon einmal der Fall, im Jahr 2008 – damals tauschte er mit dem eben geschassten Medwedew die Rollen.
Eine zweite Variante wäre der Wechsel Putins in den bisher unbedeutenden Staatsrat, den er ebenso massiv aufwerten will. Das wäre das kasachische Modell: Nursultan Nasarbajew hat sich dort kürzlich nach 29 Jahren als Präsident selbst zum Chef des Sicherheitsrates und zum „Führer des Staats“ gemacht. Putin, mit seinen 67 Jahren schon jetzt längstdienender Staatschef seit Stalin, wäre dann wohl etwas ähnliches.
Ablenkung von Problemen
Neben dem Staatsumbau hat die Rochade – mitsamt aller Spekulationen – freilich auch einen anderen Effekt: Sie lenkt davon ab, was die Russen tatsächlich plagt. Mit Medwedew muss jene Person gehen, die für den Wirtschaftsabschwung seit 2014 verantwortlich gemacht wird. Allerdings ist die ökonomische Schieflage auch auf die Sanktionen wegen der Krim-Besetzung und der Ukraine-Krise zurückzuführen.
Putin sorgte in seiner Rede an die Nation auch dafür, dass die zweite große Schwierigkeit, mit der das Riesenreich zu kämpfen hat, zumindest zart angegangen wird. Er versprach, dem Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken – und zwar mit einem Füllhorn an Geldmitteln, das er über die russischen Familien ausschütten will. Nicht nur Gratis-Essen in den Schulen soll es geben, sondern auch Finanzspritzen für jedes Kind mehr. Schließlich soll die Geburtenrate von derzeit 1,5 auf 1,7 Kinder pro Frau steigen, und das bis 2024.
Zwei Zuckerl
Die Verfassungsänderung will der Kremlchef übrigens auch dem Volk vorlegen, versprach er am Mittwoch. Abstimmen sollen die Russen aber nicht nur darüber, sondern auch über andere Benefits – auch ein verpflichtender Mindestlohn und die Indexierung der Pensionen sollen in die Verfassung. Zwei Zuckerl, die die bittere Pillen wenig überdecken werden können.
Wirtschaftsflaute: Die Wirtschaft stieg im vergangenen Jahr um lediglich 1,3 Prozent, gewünscht wären allerdings 3,5 Prozent. Die Reallöhne fallen seit 2013 stetig.
Steigende Armut: Knapp 13 Prozent der Russen – das sind immerhin 18,6 Millionen Menschen – leben nach Angaben des russischen Statistikamtes von weniger als 10.000 Rubel im Monat. Das sind umgerechnet nicht einmal 150 Euro im Monat.
Viele wollen raus: Viele Russen geben an, auswandern zu wollen – mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen wollen emigrieren.
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