Mit Stierkampf zum Wahlsieg
Von Maren Häußermann, Madrid
Wie hypnotisiert blickt der Stier auf das blutrote Tuch. Der Matador tanzt mit ihm. Ganz nah am Körper, vor dem Bauch, dann hinter dem Rücken lässt er ihn an sich vorbeistürmen, die absolute Kontrolle des Menschen über das Tier. Schließlich blitzt der Degen in der rechten Hand des Mannes auf, ehe er im Nacken des Tiers verschwindet. Der Stier steht ruhig, schwankt leicht. Sein Mörder küsst ihn auf die Stirn, dann knicken die Beine der schwarzen Bestie ein. Jubel erfüllt die Arena. Mit weißen Tüchern fordert das Publikum die Ehrung.
Es ist der erste Stierkampf, den Madrid seit eineinhalb Jahren veranstaltet. Seit Beginn der Pandemie blieben den Spaniern die Spektakel versagt, und auch vielen Hauptstädtern hat das gefehlt: Am Sonntag zur kreisrunden Arena pilgern und mit den Freunden über die Stiere diskutieren und über die Toreros urteilen.
Freiheit der Madrilenen
Dieser Wählergruppe zuliebe hat die konservative Regionalregierung das Event am Sonntag genehmigt, die Einnahmen gehen an die von der Pandemie Betroffenen in der Stierkampf-Branche. Darüber hinaus soll die Veranstaltung der Regionalpräsidentin heute, am 4. Mai, zur Wiederwahl verhelfen.
Vor der Arena verteilen Wahlhelfer des Partido Popular, der konservativen Partei, blaue Flyer an die Stierfreunde. Darauf das Gesicht von Isabel Diaz Ayuso, die mittlerweile international bekannt ist, für ihren lockeren Umgang mit der Pandemie.
Seit Juni können Madrilenen die Gastronomie nutzen und kulturelle Veranstaltungen besuchen, Kinos, Theater und die Oper sind geöffnet, trotz hoher Infektionszahlen. „Libertad“ steht auf den Armbändern, die es zu dem Flyer dazu gibt, „Freiheit“. Ayuso ist hier sehr beliebt.
Dass die Gastronomie vor allem geöffnet ist, weil die madrilenischen Gastronomen keine Direkthilfen erhielten, geht unter. Romantisch verklärt sehen viele Spanier darin die Möglichkeit, ein halbwegs normales Leben zu führen. Mit Freunden auf den Terrassen Bier, Wein, Vermut trinken und dazu Tapas essen, die Kunstgalerien besuchen, sehen und gesehen werden. Das ist Madrid.
Im Haus bleiben und eine Ausgangssperre vor 23 Uhr beachten zu müssen, das wird als eine Gefährdung der hiesigen Kultur angesehen.
So stellt sich Diaz Ayuso gegen die sozialistisch-linke Nationalregierung, fordert Wochenendausflüge für ihre Madrilenen, will, dass sie raus aus dem Smog in den Norden des Landes können, wo es das beste Essen gibt, und an die Mittelmeerküsten fahren dürfen.
Um diese Freiheit zu erreichen, ist sie auch bereit, sich mit der extremen Rechten einzulassen. Bestenfalls aber holt sie sich deren Wähler einfach zurück. Auch deshalb betonen die Konservativen die spanische Kultur, die Hispanidad.
Die Ränge der Stierkampfarena sind mit Spanienflaggen geschmückt, „Viva España“ ruft ein Mann, und die Arena antwortet. Stehend, mit der Hand am Herz, lauschen die Besucher der Nationalhymne, bevor die Spiele beginnen, die das Leben von mindestens sechs Stieren fordern. Eine Gemeinde hat sich hier versammelt. Männer in Hemd, mit ärmellosen Steppwesten und Bootsschuhen, Frauen in Anzügen mit High Heels, die langen Haare fallen über den Rücken. Jung und Alt folgen dem Geschehen.
Wahlkampfabschluss
Nur 40 Prozent der Plätze sind belegt, es gibt kein Trinken, kein Essen, und ihre Sitzkissen mussten die Zuschauer selbst mitbringen. Trotzdem waren nach nur zwei Stunden alle 6000 Karten ausverkauft. Die Maske auf der Nase und mit Abstand sitzen die Besucher in Grüppchen. Zwei Männer unterhalten sich über die Kampfbedingungen: „Heute ist es windig.“ – „Ja, aber wenigstens scheint die Sonne.“
Die Blechbläser spielen Paso Doble in den Pausen, während der Kämpfe geht ein „Schhhh“ durch die Reihen, um dem Torero Konzentration zu garantieren. Bei jedem Stoß durch das Tuch ruft ein kleiner Junge „Olé“ zur Belustigung der Erwachsenen, die mit einem „Viva Ayuso“ dem Event den gewünschten Erfolg und den Konservativen einen gelungenen Wahlkampfabschluss bescheren.
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