„Es war längst überfällig, dass die Möglichkeit einer militärischen Reaktion in Erwägung gezogen wird. Nicht im Sinne, in den Krieg zu ziehen, sondern die militärische NATO-Ostflanke zu verstärken“, sagt Gustav Gressel. Der Militärexperte am European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt sich gegenüber dem KURIER überzeugt: „Über die Androhung militärischer Gegenmaßnahmen erreicht man in Russland mehr Aufmerksamkeit als über die Ankündigung von Wirtschaftssanktionen.“
8.500 US-Soldaten wurden laut Angaben des Verteidigungsministeriums in erhöhte Bereitschaft versetzt. Zusätzlich sollen Kriegsschiffe und Flugzeuge zu den Verbündeten in die drei baltischen Länder sowie nach Polen, Rumänien und Bulgarien beordert werden.
Wenn sich die Lage verschlechtere, hieß es von US-Militärseite in einem Bericht der New York Times, könne die Zahl der US-Truppen um das bis zu Zehnfache erhöht werden. Die NATO-Partner Dänemark, Frankreich, Spanien und die Niederlande ziehen ebenfalls mit: Kampfflugzeuge und Schiffe werden in die Ostsee und ins Schwarze Meer geschickt.
Derzeit sind in den Ländern der NATO-Ostgrenze rund 9.000 Soldaten des Bündnisses stationiert. Auch gemeinsam mit der nun angekündigten Truppenverstärkung bildet das noch keine große Streitmacht.
An der Grenze zur Ukraine stehen dagegen mehr als 100.000 russische Soldaten.
Ärger für Moskau
Was USA und NATO nun ankündigten, sei denn auch „keine Vorbereitung für eine mögliche defensive Operation für die Ukraine“, sagt Gustav Gressel. Vielmehr sei es „der Versuch einer Abschreckung. Ärgern wird das Moskau aber auf jeden Fall. Und es könnte ein Grund für Russland sein, tatsächlich mehr in Richtung diplomatischer Einigung zu gehen“.
In dieselbe Richtung zielen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Die USA haben bereits in mehreren Runden Waffen geschickt. Auch andere NATO-Mitglieder, darunter Großbritannien und die baltischen Staaten, gaben Waffenlieferungen an Kiew bekannt.
Aber alles in allem ändern auch diese Lieferungen die Bedrohungslage nicht. Die ukrainischen Soldaten müssten erst monatelang an der Bedienung dieser Waffen ausgebildet werden. „Diese Schnellschüsse sind eher politisch-symbolischer Natur“, meint ein hochrangiges Militärmitglied in Wien.
Parallel zu den militärischen Notwehrplänen greift der Westen auch zu politischen und wirtschaftlichen Sanktionen. Die EU-Außenminister berieten gestern in Brüssel über eine ganze Reihe harter ökonomischer Strafmaßnahmen. Auch Außenminister Alexander Schallenberg erachtet die russische Drohkulisse als „leider sehr real“ und hofft auf einen „gemeinsame, starke Antwort, falls es zu einer militärischen Aggression Russlands kommt“. Was Schallenberg allerdings ablehnt: Sanktionen gegen die Pipeline Nord Stream 2.
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