Wie Chinas Überwachungsapparat jetzt die Demonstranten ausforscht
An die Kameras hatten die Demonstranten bei ihren Protesten am Wochenende eigentlich gedacht. Um nicht erkannt zu werden, trugen die meisten von ihnen deshalb Masken und Kopfbedeckungen, als sie in mehr als einem Dutzend chinesischer Millionenstädte auf die Straße gingen, um für ein Ende der Null-Covid-Strategie zu demonstrieren. Dem langen Arm der chinesischen Behörden entkamen sie damit nur vorübergehend.
„Es ist beängstigend“, sagte ein Demonstrant der britischen Nachrichtenagentur Reuters. Wie viele andere erzählte er übereinstimmend, wie er in der Nacht auf Dienstag vom Läuten seines Handys aus dem Schlaf gerissen wurde. Der unbekannte Anrufer gab sich als Polizist zu erkennen und forderte ihn auf, sich noch am Dienstag in einer Polizeistation einzufinden – und dabei ein handschriftliches Protokoll seiner Wochenendaktivitäten mitzubringen.
Kein Entkommen
Die kommunistische Partei hat sich lange auf potenzielle Unruhen im Land vorbereitet und einen Überwachungsapparat etabliert, dessen Effizienz sich in diesen Tagen zeigt. Kameras prägen das Stadtbild chinesischer Metropolen, sie sind an Straßenlaternen ebenso angebracht wie an Hauswänden oder Dächern.
Wie spätestens seit 2018 anhand polizeilicher Dokumente belegt ist, setzt der Staat Gesichtserkennungssoftware ein, die Personen auch anhand ihrer Größe und Gangart erkennt sowie automatisch registriert, wann jemand ein Gebäude betritt oder verlässt. Das Programm speichert zudem alle Aufnahmen der letzten 90 Tage ab, so lange sind sie also auch rückläufig einsehbar.
Ganz automatisiert läuft die Überwachung der Bevölkerung aber noch nicht ab. Die Software meldet etwa nicht von sich aus jeden Gesetzesverstoß, den sie beobachtet. Beamte müssen zuvor manuell verdächtige Personen markieren. Dann aber schlägt das System automatisch Alarm bei „verdächtigem Verhalten“ – wozu bereits jede Freizeitaktivität nach Mitternacht zählt.
Wer also bereits vorab den Blick der Behörden auf sich zog, kann sich der Beobachtung selbst mit verhülltem Gesicht nicht entziehen.
Handy-Kontrollen
Auch online ist die Überwachung weit fortgeschritten. Wer ein Profil in chinesischen sozialen Medien erstellen möchte, muss dies unter seinem Klarnamen tun. Westliche soziale Medien und Suchmaschinen sind in China nicht verfügbar. Nur sogenannte virtuelle private Netzwerke (VPNs) können ermöglichen es, über das Ausland in das Internet einzusteigen.
Ein Großteil der Bevölkerung, vor allem die Jungen, nutzt deshalb sogenannte VPN-Systeme, um die Zensur zu umgehen und westliche Webseiten besuchen– und macht sich damit strafbar.
Listen verbotener Wörter
Beiträge in sozialen Medien und Suchergebnisse im Netz, die verbotene Begriffe beinhalten, werden automatisch an Beamte gemeldet, die sie dann löschen oder zulassen können. Die Liste wird laufend aktualisiert
2 Mio. Zensoren arbeiteten Parteimedien zufolge bereits 2013 für die chinesische Regierung. Heute dürften es deutlich mehr sein
Nach den Protesten vom Wochenende setzt die Polizei hier landesweit auf Schwerpunktkontrollen. Augenzeugen berichten davon, dass Beamte in etlichen Großstädten stichprobenartig Passanten kontrollieren und ihnen die Handys abnehmen. Mithilfe spezieller Geräte kann die Polizei die Daten des Smartphones herunterladen.
„Wir alle löschen verzweifelt unsere Chatverläufe“, sagte deshalb ein Demonstrant zu Reuters. Diese könnten bei einer solchen Kontrolle ebenso zum Verhängnis werden wie Fotos der Proteste, die oben genannten VPNs oder westliche Apps wie Instagram, Signal oder WhatsApp.
„Testlabor“ Xinjiang
Im Nordwesten Chinas kennt man diese High-Tech-Methoden länger als im Rest des Landes. Von der Gesichtserkennungssoftware bis zur Entnahme von Handy-Daten: In der Uiguren-Region Xinjiang kommt all das spätestens seit 2015 regelmäßig zum Einsatz. An der dortigen muslimischen Bevölkerung testet das Regime neue Werkzeuge, bevor es sie in Peking oder Schanghai einsetzt.
Welche Strafe jenen blüht, die mit verdächtigen Daten erwischt werden, ist von Provinz zu Provinz verschieden. Gesetzestexte sind in China meist bewusst vage formuliert, um das Strafmaß jederzeit anpassen zu können.
Selbst, wer bei einer Verurteilung nicht in Haft muss, hat mit indirekten Folgen für sich und seine Familie zu rechnen: Arbeitsplätze, Kredite oder Schulplätze sind bei einer Vorstrafe in der Verwandtschaft nur schwer zu bekommen.
Kommentare