Christo Grozev ist mit seinen Enthüllungen zu russischen Giftanschlägen berühmt geworden. Mit der Aufdeckerplattform Bellingcat deckte er die Hintermänner von Attentaten mit dem Kampfstoff Nowitschok in Großbritannien auf. Als der russische Oppositionelle Alexej Nawalny 2020 ebenfalls vergiftet wurde, forschte er dessen Hintermänner aus. Die Methode: Er kaufte Daten am russischen Schwarzmarkt und glich sie ab. Denn im digitalen Raum hinterlassen auch Geheimdienstler unauslöschliche Spuren. In der sehenswerten Doku „Nawalny“ (ab sofort im Kino), ist diese unglaubliche Story zu sehen.
KURIER:Ihre Recherchen über die Giftattentäter Putins basieren auf Daten, die Sie am russischen Schwarzmarkt erworben haben. Wieso gibt es so was überhaupt in Russland zu kaufen?
Christo Grozev: Die Antwort liegt in der Zentralisierung aller Daten. Die Regierung erhebt alles und gibt sie an die lokalen Polizeieinheiten weiter. Das Land ist groß und daher gibt es viele Leaks. Russland ist außerdem besonders korruptionsanfällig.
Wie begannen Sie die Zusammenarbeit mit Nawalnys Team?
Als ich Nawalny mit wegen meiner Recherchen kontaktierte, fragte er sofort, ob ich nach Deutschland kommen könne, wo er behandelt wurde. Er war zunächst zögerlich, aber im Endeffekt sehr vertrauensvoll. Er ging ein großes Risiko ein – schließlich konnte er nicht ganz sicher sein, ob ich ein unabhängiger Aufdecker-Journalist bin oder vom CIA, was für ihn politisch eine Katastrophe gewesen wäre.
Sie haben zuvor schon die Identität von anderen russischen Killern enthüllt, die mit Nowitschok arbeiten. Diese hatten 2018 den ehemaligen russischen Spion Sergej Skripal in Großbritannien vergiftet. Sie legten die Identität der Attentäter offen. Russland stellte in den Raum, Bellingcat sei eine CIA-Operation.
Denken Sie mal an das Budget, dass Russland für Geheimdienstarbeit aufwendet ... Wir sind regelmäßig von Hackerattacken betroffen – wahrscheinlich ein oder zwei Mal pro Monat. Und das beste, was sie bisher an Beweisen lieferten waren Statements wie: „Wir haben das Gefühl, dass sie vom CIA sind.“ In unseren Rechenschaftsberichten legen wir alles bis zum Eurocent offen – und wir nehmen kein Geld von Regierungen. Plus: Wir erzürnen auch die CIA.
Wie das?
Nach dem Nawalny-Attentat lieferte die CIA der US-Regierung eine Liste mit Personen für Sanktionen. Wir publizierten eine völlig andere, was zeigte: Die USA hat die Falschen sanktioniert. Und wir publizierten Rechercheergebnisse, wonach die Amerikaner Waffen an Saudi-Arabien verkauften, die später im Jemen auftauchten.
Sie scherzen im Film, dass Sie persönlich 150.000 Euro für Daten ausgegeben hätten. Wie finanzieren Sie das?
Ich war lange Jahre in Managementpositionen in der Medienbranche. Irgendwann investierte ich mein Geld in einer russischen Radio-Gruppe. Danach wurde ich aus dem Land gedrängt, wurde aber ausgezahlt. Ich reinvestierte mein Geld in Radiosender. „Big Brother“-Erfinder John De Mol stieg 2016 ein und ich zog mich auf eine „passivere“ Rolle zurück. Also verschlug es mich zurück zu meiner ursprünglichen Liebe: Dem Journalismus.
Da schließt sich ein unerwarteter Kreis: Der Mann, der mit der scherzhaften Abwandlung der Überwachungsdystopie „1984“ berühmt wurde, finanziert Datenjournalismus mit, der russische Spione aufdeckt.
John hatte auch Geschäftsinteressen in Russland. Ich bin mir nicht sicher, wie glücklich er mit meiner Arbeit war.
Es ist jedenfalls eine interessante Art, Geld auszugeben.
Meine Kinder sagten kürzlich: „Das ist deine Version davon, sich in der Midlife Crisis einen Ferrari zu kaufen.“
Sie leben in Wien. Was hält Putin davon ab, Sie mit Nowitschok zu vergiften?
Ich habe Quellen, die mir mitgeteilt haben, dass ich auf einer entsprechenden Liste stehe. Es ist ein Rennen gegen die Zeit: Wer ist als erster Vergangenheit? Die russische Geschichte zeigt: Schwache Herrscher werden schnell beseitigt. Ich meine das nicht als Match zwischen mir und Putin, sondern zwischen ihm und allen Investigativen, die über Russland publizieren. Es ist bei mir ähnlich gelagert wie bei Nawalny: Er tut, was er tut, weil seine Familie ihn lässt. So lange meine auch damit ok ist, mache ich diese Arbeit.
Glauben Sie, dass jetzt, wo Putin in der internationalen Gemeinschaft derart isoliert ist, es im Westen weitere solche Anschläge wie gegen Nawalny geben wird?
Eine berechtigte Frage. Wenn er den Krieg gewinnt oder der zum eingefrorenen Konflikt wird, wird es wirklich gefährlich – egal für wen in der Welt. Putin hat den letzten Versuch, seine Reputation zu bewahren, verloren. Was das Risiko etwas minimiert, ist der Umstand, dass seine Agenten nicht mehr ohne Weiteres reisen können. Außerdem haben wir die Art und Weise entlarvt, wie sie sich falsche Identitäten zulegen: Sie behalten ihren ersten Namen und nehmen den Mädchennamen ihrer Frauen an. Nicht sehr ausgeklügelt.
Schon seit Monaten rührt das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny die Werbetrommel für den Dokumentarfilm über den Giftanschlag auf Russlands bekanntesten Oppositionellen. Er ist ein Zeitzeugnis über den Mut eines Kämpfers, der trotz Tiefschlägen, Haft und Lebensgefahr immer wieder aufsteht gegen Korruption und himmelschreienden Machtmissbrauch. Am Freitag kam der Streifen des kanadischen Regisseurs Daniel Roher in die Kinos.
Roher hatte den Gegner von Kremlchef Wladimir Putin im Schwarzwald in Deutschland getroffen, als Nawalny sich dort von dem Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholte. Roher sprach mit ihm über die tödlichen Gefahren für Kremlgegner in Russland. In Spielfilmlänge wird nun erzählt, wie Nawalny, der Massen mobilisieren kann und flammende Reden hält, zu einem politischen Problem wird für den Kreml. Erst wird er eingeschüchtert – gezeigt werden Aufnahmen eines früheren Anschlags. Dann soll er ganz aus dem Weg geräumt werden.
Dabei dreht sich der Film vor allem um den Mordanschlag vom 20. August 2020. Ein Killerkommando des einst von Putin geführten Inlandsgeheimdienstes FSB soll das tödliche Nervengift in einem Hotelzimmer in Sibirien auf einer Unterhose Nawalnys aufgetragen haben. Nur knapp entkommt Putins Gegner damals dem Tod. Die Plattform Bellingcat enthüllte die Identität der Attentäter, was zu einer zentralen Szene im Film führt, in der Nawalny selbst mit einem der mutmaßlichen Täter telefonierte.
Er gab sich als Assistent von Sicherheitsratssekretär Nikolai Patruschew aus – und entlockte dem Mann ein Geständnis. Der Mann hinter den Recherchen ist der Bulgare Christo Grozev, der in Wien lebt.
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