Erste Frage: Wie verliert Putin seine Macht?
In einem ausführlichen Thread auf Twitter schreibt Greene davon, dass es für autokratische Regime meist weniger wichtig sei, "wer an der Macht ist, sondern wie er oder sie an die Macht gelangt und welche Anreize sich ergeben, sobald die Macht erlangt wurde."
Die erste wichtige Frage im Fall eines Machtwechsels wäre also, wie dieser vonstatten geht - Greene sieht dafür zwei Möglichkeiten: "chaotisch oder reibungslos".
- Eine reibungslose Übergabe der Macht von Putin an Prigoschin scheint angesichts der Aussagen auf beiden Seiten aktuell ausgeschlossen, würde aber am ehesten dazu führen, dass der Wagner-Chef "die volle Kontrolle behalten würde, die Putin derzeit genießt", so Greene. Konkret: "Die vollständige Kontrolle über die Medien, den Zwangsapparat, und das Parlament, die Duma."
- Eine chaotische Machtübernahme, und die wäre im Falle eines erfolgreichen Putsches wahrscheinlich, würde dazu führen, dass "der Nachfolger möglicherweise um die Loyalität wichtiger Teile des Systems kämpfen und/oder verhandeln müsste", was "entweder zu größerer Eigenständigkeit oder zu einer Menge Repression führen würde", um Stabilität im Land sicherzustellen.
Zweite Frage: Wie reagieren Russlands Eliten?
Sollte Putins Zeit an der Spitze Russlands tatsächlich zu einem Ende kommen, hinge viel davon ab, wie die privilegierte Elite des Landes auf den Nachfolger reagiert, meint Greene. Eine ähnliche Machtfülle wie Putin zu erlangen, sei nur möglich, "wenn sich die Elite auf den neuen Kandidaten einigt".
Dafür müsse Prigoschin jedoch erst beweisen, "dass er der Elite denselben Reichtum und dieselben Privilegien bieten kann, die sie derzeit genießt - wenn nicht sogar mehr", so Greene.
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Putins Macht beruhe auf dem Glauben der Elite, dass er Wohlstand und Sicherheit bieten könne. Bis der Nachfolger bewiesen hat, dass er diesen Glauben wiederherstellen kann, würden die Eliten des Landes ihre Ressourcen horten.
Greene sieht "unvorhersehbare Konsequenzen", sollte sich die Elite nicht einig werden oder gespalten sein: "Seltsamerweise ist eine gespaltene Elite die wahrscheinlichste Gelegenheit für eine Art demokratischer Öffnung." In der Hoffnung, den neuen Mann an der Spitze herauszufordern, könnten verschiedene Fraktionen versuchen, ihren Führungsanspruch über Wahlen vom Volk legitimieren zu lassen.
Das würde Russlands Medien- und Parteienlandschaft zwar vielfältiger machen, aber nicht unbedingt demokratisieren, meint Greene. "Niemand hätte die volle Kontrolle über den Prozess, und wer auch immer 'gewinnt' würde auf unsicherem Boden stehen".
Dritte Frage: Wie reagiert Russlands Bevölkerung?
Eine weitere große Quelle von Putins Einfluss ist laut Greene der landesweite Konsens darüber, dass er die beste Lösung für das Land sei, "was zum Teil auf dem jahrelangen Fehlen einer Alternative beruht". Wer den Präsidenten offen ablehnt, werde also in weiten Teilen der Gesellschaft als "Abweichler" gesehen.
Einem Nachfolger würde es demnach enorm schwerfallen, eine ähnliche Stimmung in der Bevölkerung aufzubauen: "Selbst wenn es zu einem kontrollierten Übergang kommt, der das Medien-, Politik- und Zwangsmonopol aufrechterhält, würde Putins Abgang den Russen Raum geben, wieder über Politik zu streiten, ohne so viel Angst vor sozialer Ächtung zu haben."
Es sei zwar wahrscheinlich, "dass Russland nach einer gewissen Zeit zu einem Regime zurückkehrt, das dem jetzigen sehr ähnlich ist, selbst wenn es für eine Weile anders aussieht und sich anders anfühlt", so Greene, doch je nach Verlauf der nächsten Tage sei "alles möglich - vom Bürgerkrieg bis zur allmählichen Demokratisierung".
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