Warum die Wagner-Truppen nach Moskau ziehen und was Prigoschin dem Kreml vorwirft

Kurz nach der Rede Wladimir Putins, der die derzeitige Situation in Russland „Verrat und Dolchstoß“ nannte, meldete sich Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mit seiner Interpretation der Rede zu Wort: „Wladimir Wladimirowitsch (Putin) hat die ‚Rebellen und Verräter‘ nicht beim Namen genannt“, sagte er in seinem Telegram-Kanal. Aus seiner Sicht seien es Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Gerasimow, die Putin gemeint hatte.
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„Schoigu, der die Kampfkraft Russlands zerstört und sie durch seine eigene PR ersetzt, hat wiederholt versucht, die Wagner-Gruppe zu zerstören. Erinnern wir uns an den Munitionsmangel in Bachmut, an die Verminung der rückwärtigen Gebiete und sogar an den Vertrag, mit dem man versuchte, die Wagners nur zu einem einzigen Zweck zu vertreiben - die Wagner-Gruppe als Struktur zu beseitigen“, meinte Prigoschin und fuhr fort: „Ist es nicht, um Prigoschin eine Gelegenheit zu geben, die Gerechtigkeit wiederherzustellen und diejenigen zu bestrafen, die für den tatsächlichen Verrat verantwortlich sind, dessen Folge das Scheitern der Militäroperation (damit ist der russische Angriffskrieg gemeint) war?“
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Was der Söldnerchef damit meint, hatte er in den vergangenen Tagen und Monaten immer deutlich gemacht: Von wüsten Beschimpfungen gegen die militärische Führung bis hin zu Videos von Leichen seiner Söldner, für die das russische Verteidigungsministerium verantwortlich sei, bis hin zur Anzweiflung des Sinns des Angriffskriegs ließ sich Prigoschin zu wilden Aussagen hinreißen.
Am Freitag gab es für ihn kein Halten mehr: Er sagte, dass das russische Verteidigungsministerium sowohl die russische Gesellschaft als auch Wladimir Putin getäuscht habe, als es behauptete, das Land stehe im Vorfeld des Februars 2022 vor einer unmittelbaren Bedrohung durch die Ukraine.
„Es gab keine "wahnsinnige Aggression" seitens der Ukraine, und die Ukraine hatte keine Pläne, sich der NATO bei einem Angriff auf Russland anzuschließen“, sagte er am Freitag in einem 30 Minuten langen Video.
"Die Führung täuscht Putin absichtlich"
"Die ukrainische Armee ist dabei, die russische Armee zu zerschlagen, wir werden mit Blut besudelt, niemand stellt Reserven zur Verfügung und es gibt keine Kontrolle", so Prigoschin. Gleichzeitig hofften das Verteidigungsministerium und der Generalstab "immer noch, dass sie diesen Krieg gewinnen können".
"Aber da es keine Kontrolle und keine militärischen Erfolge gibt, täuscht die Führung des Verteidigungsministeriums den Präsidenten absichtlich", fuhr er fort. Infolgedessen "hören wir tagelang von 60 zerstörten Leopard-Panzern und davon, dass 3.000 feindliche Soldaten vernichtet wurden", was er als "kompletten und totalen Unsinn" bezeichnete.
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Prigoschin bezeichnete den Beginn der russischen Invasion als eine "inkompetent geplante Operation": "Eine Handvoll Idioten hat aus irgendeinem Grund beschlossen, dass sie so schlau sind, dass niemand merkt, was sie mit ihren Militärübungen vorhaben, und dass niemand sie aufhalten wird, wenn sie nach Kiew gehen", sagte Prigoschin. Er fügte hinzu, dass die russische Armee erfolgreich gewesen wäre, wenn "die Degenerierten nicht überlange Konvois gebildet", ihren Truppen zu wenig Munition gegeben und "nackte und barfuß laufende Soldaten" in die Schlacht geschickt hätten.
Der Söldnerführer sagte auch, dass Sergej Schoigu in den ersten Tagen des Krieges "Tausende von Menschen getötet hat - den fähigsten Teil der Armee". Mitte März sei der Verteidigungsminister zu einem "zittrigen alten Mann" geworden, der sich nur noch darum kümmere, aus der Situation herauszukommen, in der er sich persönlich befinde. Zu diesem Zeitpunkt, so Prigoschin, hätte Schoigu vor Gericht gestellt werden müssen, weil er den Verlust "zehntausender Menschenleben" verursacht hatte.
"Krieg nur notwendig, damit sich ein Haufen Abschaum feiern kann"
Prigoschin zufolge war der Krieg nur notwendig, damit "ein Haufen von Abschaum sich selbst feiern und befördern konnte". Er behauptete, dass ein Dekret, mit dem Schoigu der Rang eines Marschalls und ein zweiter Stern als Held Russlands verliehen wurde, bereits vor Beginn des Krieges vorbereitet wurde.
Außerdem, so Prigoschin, sei der Krieg wichtig für die Oligarchen, die er als den Clan bezeichnete, der Russland im Moment kontrolliere. Er sagte, die Oligarchen wollten Viktor Medwedtschuk zum Präsidenten der Ukraine machen, und dass der ehemalige ukrainische Gesetzgeber eigens zu diesem Zweck nach Kiew zurückgekehrt sei. In der Zwischenzeit hätten die Oligarchen in den besetzten Gebieten der Ukraine ihr Vermögen aufgeteilt, sagte er. "Unser heiliger Krieg gegen diejenigen, die dem russischen Volk Unrecht tun, hat sich in eine Gaunerei, in Diebstahl verwandelt", fügte er hinzu.
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