Was Russlands Schwächeln in der Ukraine mit Kämpfen in Armenien zu tun hat

Was Russlands Schwächeln in der Ukraine mit Kämpfen in Armenien zu tun hat
Aserbaidschan hat Stützpunkte auf dem armenischen Grenzgebiet angegriffen. Steht eine neuerliche Eskalation des Konflikts um Bergkarabach bevor?

Es brodelt wieder einmal im Südkaukasus: Zwischen Aserbaidschan und Armenien sind in der Nacht auf Dienstag schwere Kämpfe ausgebrochen – diesmal allerdings nicht in der umstrittenen, auf aserbaidschanischem Territorium liegenden Region Bergkarabach, sondern auf armenischem Grenzgebiet. Dem armenischen Verteidigungsministerium zufolge hat die gegnerische Armee mit Artillerie und großkalibrigen Waffen militärische und zivile Ziele angegriffen. Mindestens 49 armenische Soldaten sollen getötet worden sein; auch Aserbaidschan räumte "personelle Verluste" ein. Sowohl Armeniens Schutzmacht Russland als auch die USA und die EU forderten einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen. Die EU schickte den Sonderbeauftragten Toivo Klaar zu Vermittlungen in die Region.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion streiten die beiden Staaten um die mehrheitlich von ethnischen Armeniern bewohnte Region Bergkarabach. Über 46.500 Menschen wurden dabei bisher getötet. Zuletzt eskalierte der Konflikt vor zwei Jahren; nach sechs Wochen wurde der Krieg mit einer von Russland vermittelten Waffenruhe beendet. Die Angst vor einer ähnlichen Eskalation wie 2020 ist nicht nur bei Nachbarländern wie Georgien groß: Armenien und Aserbaidschan gehören heute zu den zehn am stärksten militarisierten Ländern der Welt.

Test für Militärbündnis

Mikheil Sarjveladze von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hält einen Krieg wie 2020 jedoch für unwahrscheinlich: "Durch einen groß angelegten Angriff auf konkrete Ziele in Armenien nutzt Aserbaidschan das Momentum, dass Russland im Krieg gegen die Ukraine schwächelt und derzeit nicht in der Lage ist, in einem weiteren Krieg verwickelt zu sein", so der Kaukasus-Experte zum KURIER.

Was Russlands Schwächeln in der Ukraine mit Kämpfen in Armenien zu tun hat

Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte russischen Medienberichten zufolge im Parlament, die Kämpfe würden zwar mittlerweile weniger intensiv ausgefochten, sie hielten aber in einigen Gegenden noch an.

Armenien ist Teil der von Russland angeführten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), Aserbaidschan nicht. Trotz strategischer Partnerschaft gibt sich Moskau im Konflikt betont neutral, versucht seit 1992, gemeinsam mit Frankreich und den USA in der Minsker Gruppe der OSZE diplomatisch zu vermitteln. Ein Grund für Russlands Zurückhaltung sind wohl auch wirtschaftliche Interessen: Russland versorgt sowohl Armenien als auch Aserbaidschan mit Waffen und will Baku für die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft gewinnen.

"Aserbaidschan will austesten, ob die militärische Partnerschaft nicht nur ein Papiertiger ist", vermutet Sarjveladze. Wie Russland reagiert, werde sich in den nächsten Tagen zeigen. Am Dienstag erklärte der Kreml, der Konflikt solle ausschließlich politisch und diplomatisch gelöst werden. Einen Verantwortlichen für die Eskalation wollte man nicht nennen.

Nicht ganz uneigennützige Verhandlungen

"Aserbaidschans Ziel ist kein Krieg, sondern eine bessere Position am Verhandlungstisch um Bergkarabach", so Sarjveladze. Ende des Monats waren Verhandlungen unter Vermittlung der EU zwischen dem armenischen und aserbaidschanischen Außenminister vorhergesehen. Dabei agiert die EU nicht ganz uneigennützig – Aserbaidschan gilt seit der Sanktionierung Russlands als neuer, "vertrauenswürdiger" Gaslieferant. "Ob die Verhandlungen nach wie vor stattfinden, ist jetzt natürlich unklar."

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