Der moderne Krieg als Labor und zynische Rüstungsmesse
„Halten die armenischen Aggressionen an, wird die eiserne Faust Aserbaidschans ihnen erneut den Rücken brechen“, tönte Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev bei seiner pompösen Militärparade am Donnerstag. Tausende Soldaten marschierten, es rollten Panzer durch die Straßen, von Häuserwänden hingen riesige Flaggen Aserbaidschans und dessen Schutzmacht, der Türkei.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ sich seinen Auftritt nicht nehmen, sprach von Reparationszahlungen, die die Armenier tätigen müssten. Es waren Szenen, die an Machtdemonstrationen des 20. Jahrhunderts erinnern. So wie der Krieg, der dieser Parade vorangegangen war: Ein zwischenstaatlicher Konflikt, der um Territorium und unter Einsatz fast aller verfügbaren militärischen Mittel geführt wurde.
Neues Mittel zum Zweck?
„Dass in der europäischen Peripherie ein Krieg geführt wurde, der für eine Seite zu einem Erfolg geführt hat, wirft einige Fragen auf“, sagt Generalmajor Johann Frank, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement, zum KURIER.
„Es gab de facto keine Konsequenzen vonseiten der internationalen Gemeinschaft. Animiert das andere potenzielle Konfliktparteien, verstärkt zum Einsatz militärischer Gewalt zu greifen?“
Aserbaidschan hat den Zeitpunkt des Angriffs auf Bergkarabach strategisch klug gewählt: Die Welt – vor allem Europa – war und ist mit Covid-19 und seinen Folgen beschäftigt, die US-Wahl rückte näher.
„Hier haben aus der Sicht Bakus die politisch-strategischen Rahmenbedingungen gepasst. Vor allem haben die Aserbaidschaner die Reaktion Moskaus besser eingeschätzt als Armenien“, sagt Frank. Russland, das letztendlich ein Ende der Kampfhandlungen zugunsten Aserbaidschans vermittelt, gleichzeitig aber ein Überschwappen des Konflikts auf armenisches Staatsgebiet verhindert hat, konnte sich damit seinen Einfluss in der Region sichern. Während Armenien sich mehr von seinem Verbündeten erhofft hatte, war die Türkei Aserbaidschan mit vielen Mitteln beigesprungen, etwa Drohnensystemen oder Söldnern.
Neue Facetten
Nach Franks Sicht sind das zwei der drei wichtigsten Facetten dieses Krieges: „Krieg ist immer ein Laboratorium für den nächsten Krieg. Dieser These folgend waren die drei Hauptfacetten der Einsatz neuer Technologien, vor allem im Bereich der Drohnen, der massive Einsatz von Söldnern und der Propagandakrieg im Netz.“ All diese Facetten gab es schon zuvor, doch wurden sie im Laufe der Jahre professionalisiert. Drohnen gelten nicht mehr nur als Mittel zur Aufklärung – viel war etwa über die „Kamikazedrohnen“ zu lesen.
„Hinzu kommt, dass dieser Konflikt auch eine Rüstungsmesse war. Es haben ja nicht die Drohnensysteme zweier Länder gegeneinander gekämpft – da waren unter anderem türkische und israelische Modelle im Einsatz.
Zynischerweise geht es da für einige Unternehmen um Markt- und Investitionschancen, wenn sie die Leistungsfähigkeit ihres Geräts nachweisen können.“
Dass dieses Pendel auch in die andere Richtung ausschlagen kann, zeigt das Fehlen armenischer Kampfjets während der Kampfhandlungen: Die Armenier hatten russische Luftüberlegenheitsjäger, auf der aserbaidschanischen Seite waren unter anderem türkische F-16.
Söldner als Risiko
„Insbesondere Moskau soll Druck auf Armenien ausgeführt haben, seine russischen Jets nicht zum Einsatz zu bringen. Das hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass die russischen Flugzeuge diesen Luftkampf verloren hätten. Und das wäre keine gute Werbung für die russische Rüstungsindustrie gewesen“, sagt Frank.
Eine der größten Sorgen für die Zukunft der Region ist jedoch der Söldner-Aspekt: Zwischen 900 und 5.000 dschihadistisch motivierte Kämpfer sollen auf aserbaidschanischer Seite zum Einsatz gekommen sein. Und es ist fraglich, ob sie nach Syrien zurückkehren oder sich gar selbstständig machen werden. Vor allem Russland ist über diese Truppe vor der eigenen Haustür nicht erfreut.
Erdoğan hingegen hat damit sowohl in Libyen, als auch in Syrien und Berg-Karabach politische Tatsachen schaffen können.
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