Warum Politik zum Feindbild wird: „Bürger sehen nur Egoismus und Taktik“

Warum Politik zum Feindbild wird: „Bürger sehen nur Egoismus und Taktik“
Nach Sturm auf Brasiliens Regierungsviertel. Politologin Stainer-Hämmerle über die Gründe für das negative Image politischer Institutionen

Die Entschuldigung kam spät, und sie war bemerkenswert lapidar: „Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude fallen nicht darunter“, schrieb Brasiliens kürzlich abgewählter Präsident Jair Bolsonaro auf Twitter, nachdem seine Anhänger Regierungsgebäude in der Hauptstadt Brasilia gestürmt hatten. Ganz anders hatte der Rechtspopulist noch in den Wochen vor der Wahl im Dezember geklungen. Da hatte Bolsonaro vor Wahlbetrug gewarnt und Herausforderer Lula als Verbrecher abgetan. Wie aber kommt es zu gewaltsamen Angriffen auf den Staat und seine Institutionen wie beim Kapitol-Sturm in den USA, oder in Brasilien? Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle sprach mit dem KURIER über die Hintergründe.

Warum Politik zum Feindbild wird: „Bürger sehen nur Egoismus und Taktik“

Stainer-Hämmerle

 

KURIER: Wo liegen die Wurzeln für diesen Verlust des Vertrauens in die Institutionen der Demokratie? Stainer-Hämmerle: Es gibt eine längerfristige Modernisierung der Gesellschaft, die grundsätzlich positiv ist: Die Menschen haben durchschnittlich höhere Bildung, eigene Meinungen, sehen sich mehr als Individuen und sind dadurch nicht so eng mit Parteien verbunden und von ihnen abhängig.

Warum aber trauen viele Politikern verantwortungsvolles Handeln gar nicht mehr zu?

Bürger betrachten heute ihr eigenes Handeln aus dem Blickpunkt der Nützlichkeit: Was bringt es für meinen persönlichen Marktwert? Moralische Instanzen wie Religion, oder der Glaube ans Gemeinwohl verlieren an Bedeutung. In Folge sehen die Bürger auch im Handeln der politischen Akteure grundsätzlich Egoismus, machtpolitische Taktik und das Hinwegsetzen über die Gesellschaft.

Und das Verhalten der Politiker selbst?

Das Verhalten der politischen Eliten trägt zu dieser negativen Haltung bei. Das reicht von den Blockaden im US-Kongress bis zum 13-fachen Auszug der Kärntner FPÖ aus dem Landtag. Man kann jedes politische System blockieren, wenn man keine Skrupel hat. Dieses Beharren auf dem kurzfristigen taktischen Vorteil prägt das Bild der Politik in der Öffentlichkeit. Das wird weiter verstärkt, wenn die Politik selbst gesellschaftliche Institutionen wie die Justiz angreift. Dazu kommen Korruptionsaffären und falsche Versprechungen, die die politischen Entscheidungsträger machen, die nie eingelöst werden

...und die Institutionen? Die Parteien, oder das Parlament , sind in die Jahre gekommen, haben grundlegende Änderungen der Gesellschaft nicht mitvollzogen. Am besten ist das den Rechtspopulisten gelungen, die etwa Fragen nach der Identität einer Gesellschaft stellen, was die Bürger eben beschäftigt. Die Sozialdemokraten und die Konservativen haben einiges aufzuholen.

Kann man dieses Vertrauen zurückgewinnen?

Für die junge Generation in den USA und Europa ist Demokratie eine Selbstverständlichkeit. Es ist sehr schwer, ihnen zu vermitteln, wie sich der Verlust der Freiheit anfühlt. Stellen also Meinungsforscher die Frage, wie wichtig es den Bürgern persönlich ist, in einer Demokratie zu leben, schneiden die Jungen immer schwächer ab.

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