Warum die EU Atomkraft und Gas ein grünes Pickerl verleiht
Umweltministerin Gewessler bereitet Klage vor dem EuGH vor. Doch die EU-Kommission bleibt dabei: Kernenergie und Gas seien unverzichtbare „Brückentechnologien“, um Klimaziele zu erreichen.
„Wir müssen uns in Europa so schnell wie möglich von der Kohle wegbewegen. Dafür müssen wir vielleicht auch nicht perfekte Lösungen akzeptieren“, gab EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness am Mittwoch zu bedenken. So eine „nicht perfekte Lösung“ legte die Kommission in Brüssel gestern in Form der Taxonomie-Regelung vor – einer Liste mit nachhaltigen, klimafreundlichen Energieformen, auf der nun auch Atomkraft und fossiles Gas zu finden sind. Die Empörung der Regierung in Wien ist riesig.
Für wen ist diese Taxonomie-Liste gedacht, die ein „Goldstandard“ für grüne Technologien werden sollte?
Die Taxonomie richtet sich an private Anleger, denn ohne deren Investitionen ist der auf 350 Milliarden Euro geschätzte Umbau zu einer klimafreundlichen Wirtschaft bis 2050 nicht zu schaffen. Private Investoren sollten anhand dieser Liste sicher sein, dass ihr Geld in wirklich nachhaltige, grüne Projekte fließt.
Die Taxonomie verbietet und verpflichtet zu nichts. Doch wenn Atomkraft und Gas als „grün“ bezeichnet werden, und sei es auch nur für eine Übergangszeit, verliert die gesamte Liste aus Sicht der Kritiker ihre Glaubwürdigkeit: „Für uns ist die Entscheidung, Atomkraft als ,grün‘ einzustufen, weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig“, protestiert Finanzminister Magnus Brunner.
Kann das grüne Pickerl für Atomkraft und Gas wieder gekippt werden?
Sehr unwahrscheinlich: Dafür müssten 20 EU-Staaten Protest einlegen oder die absolute Mehrheit der EU-Abgeordneten dagegen stimmen. Tatsächlich aber wehren sich nur Österreich, Luxemburg, Deutschland, Dänemark und Spanien gegen die Einstufung von Atomkraft als nachhaltig.
Im EU-Parlament werden alle 19 österreichischen Abgeordneten dagegen votieren, doch die Mehrheit wird die Taxonomie annehmen. In der Kommission haben gestern die Kommissare aus Österreich und Luxemburg, Johannes Hahn und Nicolas Schmit, dagegen gestimmt.
Wird Umweltministerin Leonore Gewessler die Drohung wahr machen und vor dem Europäischen Gerichtshof klagen?
„Wir werden diesen Vorschlag bekämpfen“, stellte die grüne Ministerin gestern erneut klar: Denn dieser Rechtsakt sei „nichts anderes als ein Greenwashing-Programm für die Atomenergie und das fossile Erdgas“. Kernenergie, so Gewessler, sei „zu veraltet, zu langsam und zu teuer, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu liefern“. Auch Gas will Gewessler nicht auf der Taxonomie-Liste sehen. Die Klage aber soll sich nur gegen die Einstufung von Atomkraft als grün richten. Eingereicht werden kann die Klage, sobald die viermonatige Einspruchsfrist verstrichen ist, frühestens also im Juni.
Auf welche Argumente wird sich Gewessler dabei wahrscheinlich stützen?
Zum einen soll überprüft werden, ob die Kommission mit dem Rechtsakt nicht ihre Kompetenzen überschritten hat. Zum anderen stützt sich die Ministerin auf ein Rechtsgutachten einer internationalen Anwaltskanzlei. Dieses widerlegt die Annahme, dass Atomkraft „keine signifikanten Umweltschäden“ verursache. Das Gegenteil sei der Fall, sagte Gewessler: „Wir riskieren mit Atomkraft immer Umweltzerstörung.“
Hat die Klage Chancen auf Erfolg?
Europa-Rechtsexperte Walter Obwexer hält die Chancen für „sehr gering“. „Keine Frage, nach dem allgemeinen Verständnis ist Atomenergie nicht grün“, sagt Obwexer zum KURIER. Aber die Taxonomie-Verordnung im Sinne der EU definiere „grün“ ganz anders als die österreichische Regierung, nämlich im Hinblick auf die Reduktion der CO2-Emissionen. „Und es ist unbestritten, so gefährlich und so wenig zukunftsweisend die Atomenergie sein mag, dass sie zur Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen beiträgt“, sagt Obwexer. „Und nach diesen Kriterien ist die Atomenergie als ökologisch nachhaltig im Sinne dieser Verordnung zu bewerten.“
Wie kam es in Brüssel zu der – politischen – Entscheidung, Atomkraft als grün einzustufen?
Als massivster Druckmacher gilt Frankreich, drittgrößter Atomstromproduzent der Welt. Paris, aber auch einige andere EU-Staaten setzen auf mehr Kernkraft bei der Energieproduktion, um die Klimaziele zu erreichen. Atomkraftwerke aber sind extrem teuer und können nur mit massiven staatlichen Hilfen errichtet werden.
Frankreichs Hoffnung: Gilt Atomkraft als „grün“, könnten zusätzlich private Investoren leichter für den Bau von AKW gewonnen werden. Geld aus den EU-Töpfen wird jedoch nicht in die Errichtung neuer Kernkraftwerke fließen.
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