Allein im Jahr 2020 nahm das Regime mehr als 33.000 Personen fest. Die Zahl jener, die aus Angst vor weiteren Repressionen das Land verließ, ist deutlich höher. Im benachbarten Polen leben heute rund 250.000 Belarussen, noch einmal so viele sollen in andere Länder geflüchtet sein.
Mit rechtlichen Schritten versucht das Regime seither, diese Flüchtlinge zurückzulocken: Belarussen können nicht mehr aus dem Ausland ihren Reisepass erneuern oder Immobilien verkaufen. Doch wer zurückkehrt, dem droht das Gefängnis.
Exilregierung in Polen
Polen ist auch die neue Heimat der Opposition. Demokratie-Aktivistin Swetlana Tichanowskaja, die 2020 als Gegenkandidatin Lukaschenkos angetreten war, sitzt an der Spitze der international anerkannten Exilregierung in Warschau. Wirkliche Handhabe fernab symbolischer Auftritte mit europäischen Politikern hat das Gremium jedoch nicht.
Einer von Tichanowskajas engsten Vertrauten ist der ehemalige belarussische Kulturminister Pawel Latuschka. Zwei Wochen vor der Wahl sagte er bei einem Termin in Wien zum KURIER, warum er diesmal keine Chance mehr auf Proteste in Belarus sieht: „Es gibt keine Zivilgesellschaft mehr, die hat Lukaschenko in den letzten vier Jahren ausgelöscht. Belarus ist ein totalitärer Staat.“
Wer im Land geblieben ist, wisse, dass Lukaschenko nach 30 Jahren an der Macht so fest im Sattel sitzt wie nie zuvor. Spätestens seit Beginn des Ukraine-Krieges wird der 69-Jährige gemeinhin als handlungsunfähiger Lakai des russischen Präsidenten Wladimir Putin wahrgenommen.
Doch in seinem kleinen Reich räumte Lukaschenko eisern auf: Bis auf vier Scheinparteien wurden im Vorjahr alle politischen Organisationen verboten. Wer seinen Wahlzettel fotografiert, dem droht das Gefängnis. Anfang Februar erließ Lukaschenko gar ein Gesetz, das es Soldaten erlaubt, auch ohne Vorwarnung auf Zivilisten zu schießen.
Dazu ordnete er in dieser Woche verstärkte Straßenpatrouillen durch bewaffnete Polizisten an. Und als letzten Wink mit dem Zaunpfahl gab die Regierung am Dienstag den Tod des inhaftierten Regimekritikers Igar Lednik bekannt, ohne die Ursache zu nennen.
Auch österreichische Firmen sind noch in Belarus tätig
Dass der Westen bis heute nicht schlagkräftig gegen das Lukaschenko-Regime vorgegangen sei, ist Latuschka zufolge einer der Gründe dafür, dass der Widerstand im Land gebrochen ist. Anders als gegen Wladimir Putin gibt es keinen internationalen Haftbefehl gegen Lukaschenko, auch die EU-Sanktionen betreffen Belarus nicht in demselben Ausmaß wie den großen Nachbarn im Osten. Somit seien internationale Konzerne trotz der Risiken im Land geblieben, was für das belarussische Volk „ein fatales Signal“ gewesen sei.
Ausländische Firmen beklagen dagegen immer wieder den enormen Druck, den das Regime ausübt, um den Ausstieg aus dem Land zu erschweren. Auf kritische Äußerungen folgen meist Razzien und Festnahmen belarussischer Mitarbeiter. Firmen, die Anteile verkaufen, müssen 25 Prozent des Marktwerts an den Staat abführen.
Auch österreichische Unternehmen sind noch in Belarus aktiv. Die Raiffeisen-Bank etwa, die in diesen Tagen jedoch kurz vor dem Verkauf ihrer belarussischen Tochter Priorbank an ein Konsortium aus den Vereinigten Arabischen Emiraten steht.
Daneben ist A1 seit 2002 der größte private Telekommunikations-Anbieter. Das Unternehmen erntete heftige Kritik, nachdem es während der Proteste 2020 zwischenzeitlich den Mobilfunk seiner Kunden eingeschränkt hatte. Ein Unternehmenssprecher erklärte auf Anfrage, das sei „auf Basis gesetzlicher Anordnungen“ passiert, „denen A1 Belarus Folge leisten musste“. Zurückziehen wolle man sich nicht, auch wegen der rund 2.300 Mitarbeiter im Land.
Doch es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Sanktionen künftig auch gegenüber Belarus verschärft werden, schließlich beherbergt das Land russische Soldaten und Atomsprengköpfe. „Wir haben das österreichischen Firmen auch gesagt“, meint Latuschka. „Die Risiken werden wachsen.“
Dazu steht auch im nächsten Jahr wieder eine Präsidentschafts-„Wahl“ an.
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