USA

Wahl-Start mit einem Unentschieden

Wahl-Start mit einem Unentschieden
Amerika richtet sich auf eine lange Wahlnacht ein: Ob sich Präsident Obama gegen seinen republikanischen Gegner Romney durchsetzen wird, ist unsicher.

Ganze 60 Sekunden dauerte die Wahl in Dixville Notch. Seit mehr als fünfzig Jahren findet sich das kleine Grüppchen wahlberechtigter Dorfbewohner im Nordosten der USA traditionell kurz nach Mitternacht im Hotel des Ortes ein und gibt dort binnen einer Minute seine Stimme ab. Stunden ehe die Wahllokale im entfernten Alaska oder Kalifornien überhaupt erst aufsperrten, stand deshalb das erste Ergebnis dieser Präsidentenwahl bereits fest: Fünf Stimmen für Barack Obama und fünf Stimmen für dessen Herausforderer Mitt Romney.

Dixville Notch im Swing State New Hampshire spiegelt exakt den Trend wider, der sich durch die letzten Wochen des Wahlkampfes gezogen hatte: Kopf-an-Kopf waren der demokratische Präsident und sein republikanischer Gegner durchs Rennen gezogen. Die landesweiten Umfragen konnten keinen klaren Favoriten für das Weiße Haus ausmachen. Für US-Experten Reinhard Heinisch kam dies nicht überraschend: "Die USA entscheiden seit 15 Jahren bei Präsidentenwahlen extrem knapp. Wir sprechen nur von einer ganz geringen Verschiebung der Wahlergebnisse", schildert der Uni-Professor dem KURIER.

Zwei in etwa gleich große Lager an demokratischen und republikanischen Wählern stehen einander gegenüber. Dazwischen stehen jene US-Bürger , die auch bei Präsidentenwahlen nicht wählen – immer mehr als ein Drittel. Vor allem aber jene unentschlossenen Wähler, die sich keiner politischen Seite zurechnen. Nur wer sie gewinnt, kann als Präsident ins Weiße Haus ziehen, ihre Stimmen bilden die ausschlaggebende Mehrheit.

Wachsende Kluft

Zwischen Demokraten und Republikanern aber hat sich eine Kluft aufgetan, die das Regieren in den USA zusehends schwierig macht. Das mehrheitlich republikanisch dominierte Repräsentantenhaus blockiert den Präsidenten, wo immer nur möglich. Um Reformen, wie etwa die Gesundheitsreform durchzubringen, konnte sich Obama nur auf seine Parteifreunde im Kongress verlassen.

Kompromisslos

Ob Einwanderungspolitik, Klimaschutz oder Wirtschaftsfragen – jedes Thema gerät zum erbitterten ideologischen Streit. Fakten zählen nicht länger als Fakten, sondern als Propagandawerkzeug der Gegenseite. "Kompromiss" mit dem politischen Gegner verkam vor allem in den Reihen der radikal-konservativen Republikaner zum Schimpfwort. Im Repräsentantenhaus bestimmen heute so viele Abgeordnete der Tea Party mit, dass die gesamte Republikanische Partei weit rechts abdriftete.

Eine scharfe Spaltung zieht sich auch entlang der sozialen Schichten in den USA. Die Wirtschaftskrise hat die ohnehin schon große Kluft noch weiter vertieft. Seit Anfang der 80er-Jahre, dem Einsetzen der neoliberalen Wirtschaftspolitik, ist das Einkommen amerikanischer Arbeiter nicht mehr gestiegen. Wie Nobelpreisträger und US-Ökonom Joseph Stiglitz errechnete, verdreifachte sich im selben Zeitraum der Einkommen der Allerreichsten. Dieses eine Prozent der Superreichen besitzt heute ein Drittel des Gesamtvermögens in den USA.

Die verheerenden Folgen dieser ungleichen Verteilung: Rund 1,5 Millionen Amerikaner leben heute wie in Entwicklungsländern. Sie müssen pro Kopf mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen.

Solange die von Präsident Obama durchgesetzte Krankenversicherung für (fast) alle US-Bürger nicht wirksam wird – bis 2014 – bleiben in der stärksten Wirtschaftsmacht der Welt weiter über 45 Millionen Amerikaner unversichert. Knapp jeder sechste Bürger kann sich eine Krankenversicherung schlicht nicht leisten, die meisten von ihnen sind Latinos und Afro-Amerikaner.

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Wenn Deany von etwas überzeugt ist, dann davon, dass er genug für sein Land – und sein Land genug für ihn getan hat. Drei Jahre Vietnam und vierzig Jahre in der Ölraffinerie hat er einigermaßen gesund überstanden – und sogar eine ordentliche Pension samt Krankenversicherung ist dabei rausgekommen.

Wenn sich der 65-Jährige heute Sorgen macht, dann über seine zwei Töchter. Tüchtig gelernt hätten die, und auch die Jobs seien derzeit ziemlich gut, „aber kann das so bleiben, wenn’s mit dem Land weiter so bergab geht?“ Wenn der ehemalige Industriearbeiter in diesem Wahlkampf konsequent sein Mitt-Romney-T-Shirt getragen hat, dann einfach deshalb, „weil ich Angst habe, dass meine Kinder all das nicht mehr schaffen, was ich geschafft habe. Dieses Land macht einfach zu viel Schulden, die niemand mehr bezahlen kann.“

Wirtschaftssorgen

In Lima, einer kleinen Stadt in der endlosen Ebene von Ohio, pumpt man Öl, baut Mais auf den Feldern an – und Kampfpanzer in der örtlichen Fabrik. Und jetzt soll die Ölraffinerie auf einmal der Umwelt schaden, und die US-Armee will die Panzer einsparen. Und das alles hat nach Deanys Meinung vor allem mit den letzten vier Jahren unter Präsident Obama zu tun. Deshalb muss sich der neue Mann endlich darum kümmern, „dass unsere Armee stark bleibt und unsere Wirtschaft auch“.

Um die Wirtschaft macht man sich überall in diesem Land Sorgen, auch in Chicago, wo Marty und seine Frau Debbie ein kleines Handelsunternehmen betreiben. Die Steuern würden immer mehr der Mittelklasse aufgebürdet, meinen sie – und der fehle einfach das Geld, um vernünftig zu leben und damit auch die Wirtschaft anzukurbeln. Die Großunternehmen würden ihr Geld irgendwo steuerschonend im Ausland parken, und die Kleinverdiener hätten ohnehin von Anfang an zu wenig und müssten die Hand beim Staat aufhalten.

Steuerlast

Gerade für einen Kleinbetrieb wie den ihren seien die Steuern, aber auch die Abgaben ständig gestiegen: „Da wird’s irgendwann einmal schwierig, im Geschäft zu bleiben.“ Dazu kommen die Kosten für die Gesundheitsvorsorge, die Martin seinen Angestellten zumindest teilweise finanziert: „Doch inzwischen zahl ich zu viel und sie obendrein auch noch.“ Eine leistbare Krankenversicherung für jeden Amerikaner, davon sind die beiden überzeugt, müsse einfach machbar sein. Obamas Pläne dafür seien zwar nicht perfekt, dürften aber keineswegs wieder verworfen werden.

Auch eine Mutter wie Laura will von der Politik und vom nächsten Präsidenten vor allem Entlastung bei ihren Lebenskosten. Tochter Serena kommt aufs College, „und ohne die geförderten Kredite kann ich mir das nicht mehr leisten“. Erziehung und Bildung für Kinder seien doch das Wichtigste, ärgert sich die Angestellte darüber, dass es ständig mehr Probleme in den finanziell klammen staatlichen Colleges gebe: „Wir fallen bei der Bildung ohnehin schon immer weiter zurück.“ Es müsse Familien einfach leichter gemacht werden, ihren Kindern eine Ausbildung zu bieten, mit der sie auch einen guten Job finden könnten.

Solche guten Jobs sind für Leute wie Maya, die in Chicagos armem und meist schwarzem Süden leben, ohnehin Illusion. Sie will einfach, dass endlich etwas gegen die wachsende Kriminalität in ihrem Viertel gemacht wird. „Bei uns werden immer mehr Menschen erschossen, wir brauchen mehr Polizei auf der Straße, und von mir aus können sie gleich noch die Nationalgarde hinterherschicken, damit das besser wird.“ Ein Präsident müsse einfach genauer hinhören, was die ganz normalen Bürger verlangen, meint die Schwarze, die wieder einmal auf Jobsuche ist, dann wäre die Politik wieder besser.

„Ewig gleiches Blabla“

Doch dass die tatsächlich besser wird, darauf setzen die wenigsten. Jetzt sind viele Bürger, so wie Marty, einfach einmal froh, „dass dieser Wahlkampf vorbei ist. Das war ja nicht mehr zu ertragen, dieses ewig gleiche Blabla.“

Viel mehr aber, so gibt sich der renommierte Politologe Paul Green von der Roosevelt University abgeklärt, werde der Präsident auch in den nächsten vier Jahren nicht zu bieten haben: „Die Schulden wachsen, unsere Militärausgaben sind viel zu hoch: Das sind die echten Themen, aber die greift keiner an. Es wird auch in den nächsten vier Jahren nicht viel passieren. Das Land ist in zwei Lager gespalten und, wenn die Zeiten hart sind, so wie jetzt, macht keine Partei Kompromisse.“

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