Frauen und Anwälte geben den Ausschlag
Eine Schule in Cleveland, eine Kirche in Cincinnati, ein Postamt in Columbus – egal, wo in Ohio am Morgen dieses Wahltages die ersten Wähler auftauchen, sie werden bereits erwartet: Von Anwälten und Rechtsexperten im Auftrag nicht nur der beiden Kandidaten, sondern auch des Justizministeriums. „Wir sind vor jedem Wahllokal“, erklärt ein Mitglied des Obama-Wahlkampfteams, „und wir kümmern uns darum, dass sie rechtzeitig aufsperren und genügend Wahlzettel haben.“
Genau darum wird auch das Justizministerium seine Leute frühmorgens ausschwärmen lassen. Man werde, lässt der in Ohio zuständige Staatssekretär mitteilen, „da sein, wenn die Wahllokale aufsperren, und bleiben, bis sie schließen, damit es keine Möglichkeit gibt, irgendetwas vor Gericht anzufechten“.
Doch genau darauf sind vor allem die Juristen des Obama-Teams eingestellt. In Ohio ist es unselige Tradition, dass irgendwo die Wahlzettel ausgehen, die zuständigen Wahlhelfer zu spät auftauchen und die Wähler in der Früh vor verschlossenen Türen und am Abend, wenn eigentlich schon Wahlschluss sein sollte, Schlange stehen.
Kleinkriege
Bei jeder Wahl aber sorgen diese Zwischenfälle umgehend für einen noch heftigeren juristischen Kleinkrieg. Seit dem Wahlskandal in Florida im Jahr 2000, der monatelange Rechtsstreitigkeiten und Neuauszählungen auslöste, und den schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten in Ohio bei den Wahlen 2004 sind beide Parteien in juristischer Alarmbereitschaft. „Der Trend ist einfach, dass jede Wahl mehr Rechtsstreitigkeiten auslöst“, macht sich Ohios Oberstaatsanwalt Mike DeWine keine Illusionen, „und ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt.“
Sobald etwas nicht ganz rund läuft, sind die Anwälte schon unterwegs, um beim nächsten Bezirksgericht eine Klage einzubringen, mit dem Ziel, eine Verlängerung der Öffnungszeiten durchzusetzen. Der zweite Streitfall, mit dem beide Teams fix rechnen, ist die Gültigkeit von Stimmzetteln.
Zwar sind die mechanischen Wahlmaschinen, die in Florida die legendären, nur halb gestanzten Wahlkarten produzierten, inzwischen außer Dienst, aber die Frage, welcher Wähler unter welchen Umständen eine ungültige Stimme abgibt, ist umstrittener denn je.
Prozesslawine
Egal, ob es um die Art des Ausweises geht, den man bei der Stimmabgabe mithaben muss, darum, was mit Wählern passiert, die beim falschen Wahllokal erscheinen, und was mit fehlerhaft ausgefüllten Wahlkarten geschieht – all das könnte heute am Wahltag oder in den Tagen und Wochen danach die Gerichte beschäftigen.
Die haben in Ohio inzwischen seit Wochen damit zu tun. Denn seit einem Monat darf hier im Bundesstaat gewählt werden, und seither wird hin- und herprozessiert, wann und wie lange die Wahllokale offen haben dürfen. Die Demokraten setzten durch, dass am Wochenende – wenn ihre Wähler Zeit haben – aufgesperrt werden musste. Die Republikaner gingen zum Gegenangriff über und ließen mit einem Urteil in der nächsten Instanz gleich wieder zusperren. Erst vor zwei Tagen ist ein weiterer Rechtsstreit ausgebrochen: Es geht um scheinbar lächerliche Details bei der Ausweiskontrolle. Doch in der aufgeheizten Atmosphäre in Ohio sind die Anwälte überall sofort zur Stelle. Und je knapper es wird, desto heftiger wird um jede Kleinigkeit gekämpft werden, darüber machen sich die zuständigen Wahlbehörden keine Illusionen. Ein Rechtsexperte scherzte im lokalen Radio: „Eigentlich können sie nur beten, dass es kein knappes Wahlergebnis gibt.“
Letzte Umfragen
Das Heer der Anwälte wurde nicht zuletzt von den weiter extrem knappen Umfragen bestätigt: Auf der allerletzten Zielgeraden lag Präsident Barack Obama am Montag weiter nur mit einem hauchdünnen Vorsprung von maximal 1,2 Prozentpunkten in Führung. Dienstagabend, um 20 Uhr Kalifornien-Ortszeit (fünf Uhr Früh MEZ) werden die letzten Wahllokale der Präsidentenwahl 2012 schließen. Dann sollte der
US-Präsident für die kommenden vier Jahre feststehen.
Barack Obama und Mitt Romney buhlten bei ihren letzten Wahlauftritten gezielt um die Stimmen der Frauen. Sie wissen, dass es schlussendlich auf sie ankommt. 54 Prozent der amerikanischen Wählerschaft sind Frauen und zwei Drittel aller Wechselwähler ebenfalls. Auch hier ist das Rennen diesmal knapp.Vor vier Jahren hatte Obama mit 56 Prozent klar die Wählerinnen für sich gewonnen.
Er dankte es ihnen mit seinem ersten Gesetz, mit dem er das Recht auf gleiche Bezahlung von Männern und Frauen durchsetzte. Darauf verwies er gerne im Wahlkampf und gab dem eine private Note: „Ich habe zwei Töchter. Und ich möchte, dass sie einmal das gleiche Gehalt bekommen wie die Söhne der anderen.“
Frauen aus dem Katalog
Romney, Vater von fünf Söhnen, beteuerte, das Gesetz nicht ändern zu wollen. Aber er hat es auch nicht ausdrücklich für gut befunden. Einen richtigen Sprung in den Fettnapf machte der Republikaner in einer TV-Debatte mit Obama: Er erzählte, er habe als Gouverneur von Massachusetts auf der Suche nach Frauen für seine Regierung „Ordner voller Frauen“ durchgesehen. Das klang nicht nur in weiblichen Ohren herablassend – „als ob er einen Katalog durchblättert und sich eine Frau aussucht“, bringt es Tricia Taske, eine Krankenschwester aus Ohio, auf den Punkt.
Romney habe ein altmodisches Frauenbild, ihm fehle das Fingerspitzengefühl für die Bedürfnisse der Amerikanerinnen. Dennoch war Taske, Mutter einer kleinen Tochter, bis kurz vor dem Wahltag unschlüssig, wen sie wählen sollte. Entscheidend sei, wer den Lebensstandard ihrer Familie sichern könnte und nicht die Frauenrechte, auch nicht das von Romney bekämpfte Recht auf Abtreibung.
Diese Frage hat aber großes Gewicht: Gegenüber Gallup gab jeder sechste Befragte an, er werde den wählen, der seine Ansicht zur Abtreibung teile. Das ist die höchste Rate seit 20 Jahren.
Kampf um die Herzen
Bei den entscheidenden Wirtschaftsfragen hatte Romney die Nase vorn. Es war an seiner Frau, ihren hölzern wirkenden Mann sympathischer zu machen. Ann Romney ging auf die Tribünen des Landes. Eine Rolle, die der 63-jährigen überzeugten Hausfrau, Mutter und Oma schwer fiel, aber sie ordnete sich dem Karriereziel ihres Mannes unter. Sie punktete mit Herzlichkeit, Menschlichkeit, Natürlichkeit.
Sie wehrte sich gegen Angriffe der Demokraten, als Tochter aus gutem Haus und Milliardärsgattin habe sie es immer leicht gehabt. Sie verwies auf ihren Kampf gegen Multiple Sklerose und Brustkrebs. Auch der Alltag mit fünf Söhnen sei „harte Arbeit“ gewesen. „Es war meine Karriere-Entscheidung, eine Mutter zu sein.“ Sie pochte darauf, dass „wir die Entscheidungen respektieren müssen, die Frauen treffen“.
Dieses Recht nimmt auch Michelle Obama (51) für sich in Anspruch. Sie liefert in vielem das konträre Frauenbild. Aus einfachen Verhältnissen stammend, erkämpfte sie sich das Jus-Studium in Harvard und Top-Jobs. Als First Lady musste sie sich oft zurückhalten. Im Wahlkampf konnte sie wieder ihre Eloquenz, Intelligenz und ihr Fachwissen beweisen. Sie ist beliebter als ihr Mann – und seine beste Wahlkämpferin.
– Ulrike Botzenhart
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