USA: Wie Bayer die Glyphosat-Katastrophe beilegen will
Als Werner Baumann im Herbst 2018 unter dem stählernen Triumphbogen von St. Louis/Missouri mit Journalisten bei Steak und Wein sehr selbstbewusst über die noch an einer Hand abzuzählenden Glyphosat-Klagefälle redete, schien das, was jetzt auf dem Tisch liegt, utopisch.
Nur wenn die Summen „geringfügig“ seien, sagte der Chef des deutschen Pharma-Riesen Bayer, der sich kurz zuvor für 63 Milliarden Dollar den US-Gentechnik-Spezialisten Monsanto einverleibt hatte, kämen Vergleiche in Frage. Solange werde man „entschieden“ den Weg durch die Instanzen gehen, um die „Unbedenklichkeit“ des vor 40 Jahren von Monsanto auf den Markt gebrachten Unkraut-Killers zu verteidigen.
Alles Schnee von gestern. Angesichts von erwarteten 125.000 eingereichten und noch nicht eingereichten Klagen in den USA, die dem Umsatzbringer „Roundup“ Krebs auslösende Wirkung nachsagen, will der Konzern vom Rhein den Instanzenweg abkürzen. Mit rund elf Milliarden Dollar an die Kläger soll ein Teil-Schlussstrich gezogen werden, um Aktionäre zu befrieden und den eingetretenen Reputationsverlust aufzufangen.
„Perfektes Produkt“
Das Vergleichspaket ist unter Vermittlung des bekannten Schlichters Kenneth Feinberg entstanden und bedarf noch der Zustimmung von US-Gerichten. Es ist laut Baumann kein Schuldeingeständnis. „Unglücklicherweise“ habe man „schrecklich viel Geld“ für ein „perfektes Produkt“ zahlen müssen, das laut Genehmigungsbehörden weltweit mit Gesetzen und Vorgaben im Einklang steht, sagte Baumann in einer Telefonkonferenz.
Während die zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufte, hält Bayer mit Verweis auf angeblich 800 Studien das Produkt für gesundheitlich unverfänglich. Glyphosat soll weder vom Markt genommen noch mit Warnhinweisen versehen werden. Letzteres geht auf das Urteil eines kalifornischen Richters zurück, der dies als nicht notwendig erachtete. Auch weil die US-Umweltbehörde EPA Bayer eine entsprechende Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hatte.
Aus dem Schneider ist Bayer mit dem Milliardenpaket nicht. Rund 30.000 Fälle sind noch offen, weil sich Kläger-Anwälte noch nicht auf eine Einigung eingelassen haben, bei der dem Vernehmen nach Zahlungen zwischen 5.000 und 175.000 Dollar im Raum stehen.
Kühne Konstruktion
Nun soll ein fünfköpfiges Wissenschaftsgremium eingerichtet werden, das sich bis 2024 mit der Frage beschäftigt, ob Glyphosat Krebs verursacht oder nicht. Bayer will das Instrument mit über einer Milliarde Dollar ausstatten. Potenzielle künftige Klagefälle sollen an die Expertise dieses „Panels“ gebunden sein, erklärten Bayer-Vertreter. Anwälte in Washington sprachen von einer „ungewöhnlichen Konstruktion, die Bayer kaum kategorisch schützen wird“.
Die drei medienwirksamen Prozesse (Dewayne Johnson, Edwin Hardeman, Alva und Alberta Pilliod – allesamt nach jahrelanger Glyphosat-Nutzung an Krebs erkrankt), die Bayer erstinstanzlich Entschädigungszahlungen in dreistelliger Millionenhöhe aufbürdeten, laufen ungeachtet des Vergleichs weiter. In den Verfahren hatten Geschworenen-Jurys Monsanto/Bayer attestiert, die Krebsgefahr mit Vorsatz verschwiegen und über die Risiken nicht ausreichend gewarnt zu haben.
Im Zuge der Glyphosat-Affäre will Bayer weitere Altlasten – den Unkrautvernichter Dicamba und die seit 1979 in den USA verbotene Chemikalie PCB, die sich die Leverkusener mit der Übernahme Monsanto einfingen – loswerden und juristische Verfahren beilegen. Extrakosten: rund 1,2 Milliarden Dollar.
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