Die Justiz ist Trumps letzter Trumpf
Sie waren teils mit halbautomatischen Gewehren bewaffnet, wütend und entschlossen. Dutzende Anhänger von Donald Trump haben vor einem Wahllokal in der Nähe von Phoenix (Arizona) gegen die angebliche Nicht-Berücksichtigung von Stimmzetteln für den noch amtierenden Präsidenten protestiert.
„Stop the Steal“ (stoppt den Diebstahl), ihr Slogan, ist der Renner in sozialen Medien. Die Taktik Trumps, von einer ihm angeblich „gestohlenen Wahl“ zu schwadronieren, noch ehe der Sieg des Gegners feststand – am Donnerstag ging es noch in vier Bundesstaaten um die fehlenden Wahlmännerstimmen für Joe Biden – ist teils aufgegangen.
Klageflut
Mit Klagen in entscheidenden Bundesstaaten versucht sein Lager, die Niederlage abzuwenden. Dabei geht Team Trump variantenreich vor. In Michigan verlangte der Präsident den Stopp der Stimmenauszählung. Begründung: Trump-Leuten sei es nicht möglich, die Handhabung der Stimmzettel mitzuverfolgen, wie es das Gesetz vorschreibe.
In Arizona beklagt Donald Trump, dass US-Medien – allen voran der ihm zugeneigte Sender Fox News – seinen Kontrahenten Joe Biden zu früh als Sieger ausgerufen hätten, während die Auszählung noch laufe. In Georgia seien Briefwahlstimmen falsch gelagert und ausgezählt worden – Formfehler. In Wisconsin, das wie Michigan Joe Biden zugeschlagen wurde, verlangt Trump eine Neuauszählung. Grund: Der Abstand zu Biden (rund 20.000 Stimmen) ist in der gesetzlichen Größenordnung, die einen zweiten Rechenvorgang erlaubt.
Auch in Pennsylvania sieht das Trump-Lager Transparenz-Probleme. Dort ist noch ein Verfahren anhängig, in dem der Oberste Gerichtshof über die bis heute, Freitag, verlängerte Frist zur Annahme von Briefwahlstimmen entscheidet. Der Supreme Court hatte zum Verdruss von Trump erlaubt, dass „Mail-in-Ballots“ dort bis zum 6. November berücksichtigt werden können, wenn sie den Poststempel vom Wahltag tragen: 3. November.
Experten wie der kalifornische Verfassungs- und Wahlrechtler Prof. Rick Hasen sind skeptisch, ob Trumps Versuch, das Oberste Gericht für seine Zwecke einzuspannen, erfolgreich sein wird – trotz der Tatsache, dass nach der Installierung von Amy Conny Barrett eine stabile, konservative 6:3-Mehrheit am Supreme Court herrscht.
Zum einen laufe Trumps juristischer Aktionismus ins Leere, solange untere Instanzen in den betroffenen Bundesstaaten nicht über die Klagen entschieden haben. Amerika hat kein nationales Wahlrecht, sagt Hasen in Interviews. Jeder Bundesstaat ist sein eigener Herr. Und: Kein Staat könne gezwungen werden, Auszählungsvorgänge abzubrechen, wenn Fristen eingehalten wurden.
Erinnerungen an 2000
Zum anderen sei die Annahme, das Gericht werde automatisch im Sinne Trumps entscheiden, verwegen. Zuletzt gab es immer wieder Entscheidungen, die Trumps Interessen „klar zuwiderliefen“, heißt es in juristischen Kreisen in Washington.
Nach der Erfahrung von Florida achte das höchste Gericht „penibel auf seine parteipolitische Unabhängigkeit“. Der Hintergrund: Im Jahr 2000 verhalf der Supreme Court nach Streitigkeiten um Wahlzettel in Florida George W. Bush gegen seinen Widersacher Al Gore zur Präsidentschaft – und erlitt danach in der Öffentlichkeit laut Umfragen über Jahre einen Reputationsschaden.
Trumps Tenor
Dagegen steht, dass der von Trump bestellte konservative Richter Brett Kavanaugh vor der Wahl eine Fristverlängerung für die Zählung von Briefwahlstimmen in Wisconsin über den 3. 11. mit einer Begründung abgelehnt hatte, die nahezu identisch ist mit Trumps Tenor: „Die Staaten sollten Chaos und den Verdacht von Unregelmäßigkeit vermeiden wollen, was entstehen könnte, wenn Tausende von Briefwahlstimmen nach dem Wahltag eingehen und so das Ergebnis der Wahl potenziell drehen könnten.“
Dessen Richter-Kollegin Elena Kagan, die mit zwei Liberalen am neunköpfigen Gericht in der Minderheit ist, verdrehte über Kavanaugh die Augen. Sie konterte, dass allein die Nicht-Berücksichtigung von ordnungsgemäß abgestempelten Stimmzetteln, die später eingehen, „verdächtig“ sei.
Ausschreitungen
In US-Frühsendungen im Fernsehen äußerten Analysten die Befürchtung, dass aggressive Kommentare Trumps in den kommenden Tagen öffentliche Unruhen auslösen könnten. In Portland, New York Atlanta, Oakland und Detroit kam es bereits am Mittwochabend zu Demonstrationen meist linksgerichteter Gruppen. Sie forderten, dass die Auszählung noch ausstehender Briefwahlstimmen uneingeschränkt fortgesetzt wird. Dabei kam es auch vereinzelt zu Gewalt.
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