Dabei wird die noch ausstehende Zustimmung im Senat, wo bisher zwischen Republikanern und Demokraten kein einheitliches Meinungsbildung erkennbar ist, nicht als die größte Hürde angesehen. Auch dort wird latent die Sorge geteilt, dass Daten und Bewegungsprofile amerikanischer Nutzer an die kommunistische Regierung in China weitergegeben werden könnten.
Halbes Jahr Frist
Sollte dort ebenfalls eine Mehrheit zustandekommen und Präsident Joe Biden, wie versprochen, ein Gesetz zur Entflechtung der Tiktok-Eigentümerschaft unterzeichnen, hätte der auf den Cayman Islands ansässige Konzern sechs Monate Zeit, um den Vorgaben Folge zu leisten.
Tiktok-Chef Shou Chew, gebürtig in Singapur, hat erklärt, dass man sich ungerecht behandelt fühlt und den kompletten Rechtsweg bis zum Obersten Gerichtshof nutzen wird, um sich zu wehren. Das könnte erfahrungsgemäß Jahre dauern. Shou Chew betonte, dass Tiktok über 300 000 Klein-Unternehmern eine wirtschaftliche Basis biete. Dies aufs Spiel zu setzen, sei fragwürdig und schädlich.
Unerwähnt ließ der Tiktok-CEO, dass China vor einigen Jahren verfügt hatte, dass in China programmierte Algorithmen und Quellcodes - quasi das Herz von Tiktok - nur noch mit Zustimmung Pekings an ausländische Firmen verkauft werden dürfen. Botschaft: Ablehnung wahrscheinlich.
Kartellrecht als Pferdefuß
Abgesehen davon: Angenommen, der Supreme Court in Washington würde der Argumentation der US-Regierung und des Kongresses folgen, müsste erst ein Käufer gefunden werden, der laut Markt-Analysten „im Bereich von 50 Milliarden Dollar plus x” zahlungsfähig wäre. Branchen-Größen wie Google oder Microsoft, die das Geld hätten, fielen nach Einschätzung von Experten in Washington wegen des Kartellrechts aus.
Ohnehin, so der republikanische Senator Rand Paul, kollidierten die Zwangsverkaufs-Ambitionen mit der US-Verfassung, wo dem Recht auf freie Meinungsäußerung hoher Stellenwert eingeräumt wird. Paul, ein Exot in den eigenen Reihen, betonte, dass der Tiktok-Algorithmus in den USA vom US-Netzwerkbetreiber Oracle gesichert werde - und nicht von China. Außerdem gehöre das Unternehmen zu 60 Prozent ausländischen Investoren - nicht chinesischen.
Der Parlamentarier aus Kentucky erinnerte auch an die Ambivalenz im Umgang mit der Plattform, die sich bis ins Weiße Haus zieht. So unterstützt Präsident Joe Biden das bereits bestehende Verbot von Tiktok auf Diensthandys von Staatsbediensteten. Um sich mit Blick auf die Wahl im November jüngere Wählerschichten zu erschließen, für die Tiktok zu über 40 % Nachrichten- und Kommunikationsquelle Nr. 1 ist, hat er aber selbst erst vor wenigen Wochen ein Konto eröffnet.
Bei seinem Vorgänger Donald Trump ist die Diskrepanz noch deutlicher. In seiner Amtszeit wollte er Tiktok per präsidialer Anordnung stoppen lassen, unterlag aber vor Gericht. Nach einem Gespräch mit einem milliardenschweren Tiktok-Investor, von dem er sich Spenden für den Wahlkampf verspricht, vollzog Trump erst vor wenigen Tagen eine 180-Grad-Wende. Er sprach sich gegen ein Verbot aus, weil dies den Protest Millionen junger Amerikaner auslösen würde. Außerdem würde von einer Blockade nur Facebook profitieren. Trump hält das soziale Netzwerk von Mark Zuckerberg, das bei der Präsidentschaftswahl 2020 aus seiner Sicht Zensur betrieben hat, für den „Feind des Volkes”.
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