Umstrittener Strategiewechsel der USA im Nahost-Konflikt

Experte sieht mit Kurswechsel in Washington Israel unter Zugzwang. Die EU will weiterhin an der Zwei-Staaten-Lösung festhalten.

Vor dem ersten Treffen von US-Präsident Donald Trump mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanyahu ist das Weiße Haus von der Forderung einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt abgerückt. Ein ranghoher Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, sagte am Dienstagabend (Ortszeit), das Weiße Haus werde Bedingungen für einen Friedensschluss der Konfliktparteien nicht mehr diktieren.

Die USA unterstützten das, was die Konfliktparteien vereinbarten. "Das ist ihnen überlassen, wir werden nicht die Bedingungen des Friedens diktieren", sagte der Regierungsvertreter. "Frieden ist das Ziel, ob er nun in der Form einer Zwei-Staaten-Lösung kommt, wenn es das ist, was die Parteien wollen, oder etwas anderes, wenn es das ist, was die Parteien wollen." Und: "Eine Zwei-Staaten-Lösung, die keinen Frieden bringt, ist kein Ziel, das jemand erreichen will."

Abkehr von jahrzehntelanger Haltung

Sollte sich dieser angedeutete Kurswechsel zur offiziellen Haltung der neuen US-Führung entwickeln, wäre das ein Bruch mit einer jahrzehntelangen Tradition. Die USA unterstützten bisher ausdrücklich die Bildung zweier friedlich und in Sicherheit nebeneinander lebender Staaten im Nahen Osten. Seit einem halben Jahrhundert standen die US-Präsidenten, Demokraten wie Republikaner, hinter dieser Prämisse. Die EU kündigte indes an, weiterhin an der Zwei-Staaten-Lösung festhalten zu wollen (mehr dazu hier).

Der Kurswechsel der neuen US-Regierung setzt nach Ansicht eines Experten Israel unter Druck. "Ich denke, das ist eine größere Bürde auf den Schultern Israels", sagte Kobi Michael vom renommierten Institut für israelische Sicherheitsstudien INSS am Mittwoch. Wenn die USA nicht allein an der Zwei-Staaten-Lösung festhielten und die Palästinenser jede andere Lösung ablehnten, müsse Israel nun einen neuen Vorschlag machen.

Hintergrund: Die Zwei-Staaten-Lösung und mögliche Alternativen

Israel gefordert

"Und es gibt keine Option, dass Israel mit einer Idee kommt, die nicht irgendwelche eigenen Zugeständnisse fordern wird", sagte Michael. Bisher habe sich Israel aus seiner Sicht in einer relativ komfortablen Situation befunden. "Solange die Zwei-Staaten-Lösung die einzige war, war es sehr viel leichter für Israel zu sagen, das ist nicht machbar wegen der Palästinenser", sagte der Wissenschafter, der betonte, dass immer noch eine Mehrheit der Israelis die Zwei-Staaten-Lösung unterstütze.

Die Zwei-Staaten-Lösung ist in der Roadmap des Nahost-Quartetts (USA, Russland, UNO, EU) von 2002 vorgesehen. Laut dem Fahrplan wird zunächst ein Waffenstillstand und ein Gewaltstopp zwischen Israelis und Palästinenser hergestellt. Israel stoppt den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten und beseitigt die selbst aus Sicht Israels illegal errichteten Siedler-"Außenposten". Die palästinensischen Institutionen werden reformiert, Israel und Palästina erkennen einander gegenseitig an. In einer zweiten Phase entsteht ein Staat Palästina in provisorischen Grenzen. In der dritten und letzten Phase entsteht nach einer internationalen Konferenz ein Palästina in permanenten Grenzen. Die Lösung der Frage des Status von Jerusalem und die der Flüchtlingsrückkehr besiegeln das Konfliktende.

Ein-Staaten-Lösung noch illusorischer

Zuletzt hatten sich Palästinenser und Israelis auf der Nahost-Konferenz in Annapolis bei Washington 2007 offiziell zur Zwei-Staaten-Lösung bekannt. Seither ist der Friedensprozess jedoch nicht vom Fleck gekommen. Die alternative Ein-Staaten-Lösung würde bedeuten, dass Israelis und Palästinenser in einem (Bundes)Staat auf dem Territorium Israels, des Westjordanlandes und des Gazastreifens zusammenlebten.

Jüdische Israelis wären in einem solchen gemeinsamen Staat wohl bald demografisch in der Minderzahl. Die Idee eines "jüdischen Staates" wäre dann zu Ende. Umgekehrt würden auch die Palästinenser auf eine nationale Selbstbestimmung verzichten müssen. Daher gilt die Ein-Staaten-Lösung als noch illusorischer als die Zwei-Staaten-Lösung, ist auf internationaler Ebene nicht vorangetrieben worden, bekommt aber offenbar mehr Anhänger, je länger man beim Zwei-Staaten-Plan nicht weiterkommt.

"Keine verantwortungsvolle Politik"

Die Palästinenser reagierten allerdings erwartungsgemäß deutlich verärgert auf die neuen Töne aus Washington. Ein Bruch mit den jahrzehntelangen Bemühungen um eine Zwei-Staaten-Lösung ergebe "keinen Sinn" und sei auch "keine verantwortungsvolle Politik", sagte die palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi, Mitglied des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Die Kursänderung sei auch dem Frieden nicht dienlich.

Es sei ersichtlich, dass die US-Regierung versuche, die "extremistische Koalition" von Netanyahu zufriedenzustellen, sagte Ashrawi weiter. Die USA könnten nicht einfach eine solche Äußerung treffen, "ohne eine Alternative" anzubieten.

Netanyahu mit Trump "auf gleicher Augenhöhe"

Netanyahu hielt sich am Mittwoch in Washington auf und sollte dort von Trump im Weißen Haus empfangen werden. Der rechtskonservative Ministerpräsident und seine rechten Unterstützer erwarten nach dem Regierungswechsel in Washington eine deutliche Verbesserung des bilateralen Verhältnisses. Die Beziehungen hatten unter Trumps Vorgänger Barack Obama zuletzt gelitten. Unter anderem hatte Obama kurz vor Ende seiner Amtszeit eine Verurteilung Israels durch den UNO-Sicherheitsrat wegen des Siedlungsbaus ermöglicht, da die USA erstmals seit Jahrzehnten kein Veto gegen eine entsprechende Resolution einlegten.

Mit Präsident Trump sei er hingegen "auf gleicher Augenhöhe", was die Einschätzung der Gefahren in der Nahost-Region angehe, hatte Netanyahu vor seinem Abflug in die USA gesagt. Er dürfte sich von dem Besuch bei Trump unter anderem eine Klärung der US-Haltung zu den international kritisierten Siedlungen in den Palästinensergebieten erhoffen.

Trump hatte im Wahlkampf den Siedlungsbau gutgeheißen, vor einigen Tagen aber erklärt, der Bau neuer Siedlungen sei "nicht gut für den Frieden". Der israelische Siedlungsbau wird international weitgehend als völkerrechtswidrig und eines der größten Hindernisse für Frieden im Nahen Osten angesehen.

Umstrittener Strategiewechsel der USA im Nahost-Konflikt
Karte Israel mit Westjordanland und Gazastreifen, jüdische Siedlungen; Factbox zu Zwei-Staaten-Lösung GRAFIK 0172-17, 88 x 180 mm

  • STATUS QUO: Israel hat 1967 unter anderem den Gazastreifen, das Westjordanland und den arabischen Ostteil Jerusalems erobert. Seither kontrolliert es die Gebiete weitgehend. Aus dem Gazastreifen zog Israel 2005 seine Bodentruppen wieder ab. Die Gebiete gelten international als besetzt.
  • ZWEI-STAATEN-LÖSUNG: Bisher galt international weitgehend unisono, dass eine friedliche Lösung für den Konflikt zwei Staaten für zwei Völker heißen muss. Dabei soll neben Israel ein unabhängiger und demokratischer Staat Palästina entstehen. Dazu hatte zuletzt etwa Frankreich die Grenzen von 1967 als Basis genannt.
  • ENTMILITARISIERTER PALÄSTINENSERSTAAT: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte in der Vergangenheit einem entmilitarisierten Palästinenserstaat zugestimmt. Zuletzt sprach er von einem "Staat minus".
  • TEILWEISE ANNEXION DES WESTJORDANLANDES: Israels ultra-rechter Bildungsminister Naftali Bennett fordert eine Annexion der Gebiete des Westjordanlandes, die Israel heute schon komplett kontrolliert. Dies wären rund 60 Prozent der Fläche, auf der nach seinen Angaben mehr als 450 000 Siedler und etwa 80 000 Palästinenser leben. Diese Palästinenser würden israelische Staatsbürger werden. In den restlichen Gebieten erhielten die Palästinenser Autonomie - allerdings keine Armee.
  • FÖDERALE LÖSUNGEN: Eine Art Staatenbund zwischen den Israelis und den Palästinensern - etwa unter Beteiligung von Jordanien, nennt der politische Analyst Kobi Michael als Möglichkeit. Mehr als die Hälfte der Jordanier sind Palästinenser.
  • EIN STAAT: Ein Staat vom Mittelmeer bis zum Westjordanland für Israelis und Palästinenser. "Wenn Israel eine Demokratie bleiben will, müsste es den Arabern die gleichen Rechte geben und ihnen erlauben, sich für Wahlen aufstellen zu lassen", sagt der palästinensische Politiker Mustafa Barghouti. Doch aufgrund der Geburtenraten könnten die Araber zumindest in der Zukunft die Mehrheit in der Region stellen. Auch der israelische Demograph Sergio DellaPergola sah bereits im vergangenen Jahr die jüdische Bevölkerung in dem Gesamtgebiet in der Minderheit.

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