USA: Rassismus "unendlich tief in Psyche des Landes verwurzelt“
„Ich kann nicht atmen.“ Als Jalane Dawn Schmidt hörte, was George Floyd sagte, bevor er unter dem Knie von Officer Derek Chauvin das Bewusstsein und wenig später sein Leben verlor, drehte sich der Mutter zweier Töchter der Magen um. „Unfassbar, schon wieder?“, erinnert sich die 51-Jährige im Gespräch mit dem KURIER an ihre erste Reaktion. „Hatte nicht Eric Garner vor sechs Jahren original denn gleichen Satz gesagt?!“ Hatte er.
Im Juli 2014 kam der Afroamerikaner wegen illegalen Zigarettenverkaufs auf der Straße in New York mit dem Gesetz in Konflikt. Der weiße Polizist David Panteleo nahm ihn minutenlang in den Schwitzkasten. Garner schrie zigfach „I can’t breathe“. Und starb kurz darauf im Krankenhaus.
Zwischen Floyd und Garner liegen sechs Jahre und Dutzende Fälle aus dem Ruder gelaufener Polizeigewalt gegen Schwarze. Der Verdacht, dass es sich hier um ein systematisches Versagen handelt, dass sich Geschichte ständig wiederholt, ist in den USA längst zur Gewissheit geworden. Frau Schmidt weiß, warum.
„Sklaven-Patrouillen“
„Die Wurzeln der professionellen Polizei in diesem Land“, sagt die schwarze Professorin für afroamerikanische Studien an der Universität von Charlottesville im Bundesstaat Virginia, „waren Sklaven-Patrouillen. Wenn Sklaven flohen, wurden weiße Männer abkommandiert, um sie wieder einzufangen. Diese Patrouillen konnten jeden Schwarzen beliebig kontrollieren. Schwarze Körper, die sich frei bewegen, waren prinzipiell suspekt.“
Obwohl die Sklaverei seit mehr als 150 Jahren abgeschafft ist, habe sich diese „mentale Befindlichkeit“ bis heute gehalten. „Schwarze werden nicht als gleichberechtigter Teil der Bevölkerung wahrgenommen, der dasselbe Recht auf Unversehrtheit hat. Sondern als Bedrohung, die in Schach zu halten ist. Dieser Rassismus ist unendlich tief in der Psyche unseres Landes verwurzelt“, sagt Jalane Schmidt.
Darum würden Schwarze die Polizei oft „als Besatzungsmacht“ wahrnehmen, die „Immunität“ genieße.
Die Mitbegründerin der Organisation „Black Lives Matter“ (Schwarzes Leben zählt) in Charlottesville meint damit zwei Grundsatzscheidungen des Obersten Gerichtshofes in Washington von 1967 und 1989. Sie besagen im Kern, dass Cops straffrei bleiben, wenn sie nicht klar gegen Gesetze oder die Verfassung verstoßen haben.
Bei der Anwendung tödlicher Gewalt räumt der Supreme Court den Beamten ein Alleinentscheidungsrecht ein. Wenn es aus ihrer Sicht notwendig ist, so der Tenor, bleibt der Einsatz der Schusswaffe (oder körperlicher Gewalt) ungesühnt. So erkläre sich, sagt Schmidt, dass Officer, die Unbewaffnete getötet haben, häufig freigesprochen oder gar nicht erst angeklagt würden.
Für die renommierte Rassismus-Expertin steht fest, dass Fälle wie George Floyd, Michael Brown, Freddie Gray, Alton Sterling, Philando Castile, Walter Scott oder Tamir Rice, die im vergangenen Jahrzehnt die USA erschüttert haben, in der Ausbildung der Polizei grundgelegt seien.
Jüngster Fall
Am 25. Mai 2020 tötet ein weißer Polizist den Schwarzen George Floyd, indem er sein Knie fast neun Minuten lang gegen dessen Hals drückt – bis dieser stirbt.
Im Vorjahr starben 290 Afroamerikaner bei Polizeieinsätzen.
38 Prozent aller Gefängnisinsassen sind Afroamerikaner, obwohl sie nur 13 Prozent der US-Bürger ausmachen.
Arbeitslosigkeit
Im vergangenen April waren (auch Corona-bedingt) 18,9 Prozent der Afroamerikaner ohne Job, unter den Weißen lag die Quote bei 14,2 Prozent
Einkommen
Im Schnitt hat ein Haushalt Weißer fast 67.000 US-Dollar jährlich zur Verfügung, jener von Schwarzen nur knapp 41.400 Dollar; Weißen stehen also mehr als 50 Prozent mehr Mittel zur Verfügung als Schwarzen
Schießen statt schlichten
„Wenn die Betonung auf der Schulung an Schusswaffen liegt, und hier gesondert: wie man tötet, anstatt außer Gefecht zu setzen, wenn nicht Strategien der Deeskalation im Zentrum stehen, muss man sich nicht wundern.“
Das „Police Executive Research Forum“ unter Geschäftsführer Chuck Wexler hatte in einer Studie bereits 2015 ein krasses Missverhältnis zwischen Schießen und Schlichten ermittelt und eine Totalreform der Polizeiausbildung gefordert.
Im Detail unterscheiden sich auch die Richtlinien über den Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten von Bundesstaat zu Bundesstaat, manchmal sogar von Landkreis zu Landkreis. So sei die tödliche Kniepresse, die Floyd zum Verhängnis wurde und die seit Freitag in Minneapolis per Stadtratsbeschluss verboten ist, in einigen Bundesstaaten erlaubt, in anderen nicht.
Trump mit "rassistischer Rhetorik"
In der Causa Floyd, die seit bald zwei Wochen Proteste in fast 400 US-Städten hervorgerufen hat, kommt aus Sicht der Expertin der Faktor Donald Trump massiv erschwerend hinzu. Anders als unter Barack Obama komme „nur Benzin“ aus dem Weißen Haus. „Trumps rassistische Rhetorik begünstigt, dass Polizisten denken, sie könnten brutal vorgehen und dabei straflos bleiben.“
"Schocktruppe"
Dass der Präsident die Polizei bei den Demonstrationen als „Schocktruppe“ gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt sehen will, wobei wie in Buffalo/New York sogar ältere, weiße Menschen Opfer der Übergriffigkeit werden, sei neu. „Unter Obama wäre das Justizministerium gegen diese verbrecherischen Cops vorgegangen“, sagt Schmidt, „Trump gibt ihnen das Gefühl, sie seien sicher.“
Nicht zu unterschätzen im Verhältnis schwarzer Bürger und der Polizei sei auch die Tatsache, dass Trump aufgeweicht hat, was Obama eindämmen wollte: die Hochrüstung der Polizeien mit großkalibrigen Waffen bis hin zu gepanzerten Fahrzeugen. Welche Folgen es hat, wenn Ordnungshüter kaum mehr von Soldaten in Kampfzonen zu unterscheiden sind, hat Radley Falko in seinem Buch „Rise of the warrior cop“ beschrieben. Schmidts Zusammenfassung: „Die Militarisierung der Polizei untergräbt den inneren Frieden.“
Skepsis
Für die Zukunft ist Jalane Dawn Schmidt skeptisch: „Solange es keine grundsätzliche Empathie und Humanität gegenüber Schwarzen gibt, solange wird es weiter Fälle wie George Floyd geben.“
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