Dabei hat sich die Regierungspartei vollends zum Trump-Wahlverein entwickelt. Beweis dafür ist, dass zum ersten Mal keine Programm-Plattform verabschiedet wurde, auf der sich konservative Politik in den kommenden vier Jahren abspielen soll. Das Programm heißt: Trump. Kontroverse Stimmen waren auf dem Parteitag nicht zugelassen. Themen, bei denen der Amtsinhaber schlecht aussieht (die weltweit einzigartig hohen Opferzahlen in der Coronavirus-Krise, der damit verbundene Absturz der Wirtschaft etc.) wurden vom Boden der Realität in ein Paralleluniversum geredet.
Dort ist die Pandemie so gut wie überstanden, die Wirtschaft regeneriert sich mit Sieben-Meilen-Stiefeln, und ein Impfstoff ist nur noch eine Frage von Wochen. Dass zu den bald 190.000 Toten täglich rund 1.000 hinzukommen, inklusive 40.000 Neu-Infektionen, dass Experten bei der schnellen Verfügbarkeit eines Impfstoffs skeptisch sind, verschwindet hinter einem rhetorischen Paravent.
Zentrales Trump-Thema auf der Zielgeraden wird eine brutale Rote-Socken-Angst-Kampagne sein, die in einen Kulturkrieg um Religion und Freiheit eingebettet ist. Der Präsident dämonisiert die Demokraten als Totengräber Amerikas. Joe Biden ist das „Trojanische Pferd“, aus dem bald „radikale Sozialisten“ klettern, um Amerika fundamental auf links zu drehen. In dem apokalyptischen Szenario geben „gewalttätige anarchische Agitatoren und Kriminelle“ den Ton an, wie laut Trump bei den aktuellen Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus (siehe auch unten). „Vororte werden niedergerissen“, die Polizei entmachtet, in der Verfassung garantierte Freiheiten wie das Recht auf Waffenbesitz ausradiert und Babys auch im neunten Monat abgetrieben.
Dass die Demokraten nichts dergleichen planen oder gutheißen, dass Joe Biden seit fast fünf Jahrzehnten in Washington in der politischen Mitte ankert, anschlussfähig nach links wie rechts, lässt Trump nicht gelten. Er nutzt sein präsidiales Megafon, um die Wahl auf einen archaischen Gegensatz zu komprimieren: Wir oder die.
Bei den Demokraten kann Joe Biden auf einen erfolgreichen Parteitag zurückschauen. Die linken Ikonen um Bernie Sanders taten alles, um ihre Anhänger auf den 77-Jährigen einzuschwören. Sämtliche Granden (Carter, Clinton, Obama etc.) rühmten Biden als den guten Hirten, der die von Trump aufgescheuchte amerikanische Herde beruhigen könne. Die Wahlentscheidung ist in erster Linie ein Referendum über den Charakter Trumps, lautet die Botschaft.
Mit der Entscheidung für Kamala Harris als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft gehört Biden, der für breite Teile der Bevölkerung bei Weitem nicht so toxisch ist wie es 2016 Hillary Clinton war, die Dynamik der Stunde. Die eloquente Senatorin aus Kalifornien überragt ihr nur bei Evangelikalen Glückseligkeit auslösendes Gegenüber Mike Pence in puncto Charisma und Wählbarkeit um Längen.
Bidens Rede, wie die gesamte „Convention“, war von glaubwürdiger Empathie für das Leiden vieler Amerikaner in Zeiten von Corona und wirtschaftlichem Ruin durchwirkt. Dem Herausforderer gelang es, den moralisch-ethischen Autoritätsverlust Amerikas aufzuzeigen, den Trumps Präsidentschaft auch im Ausland erzeugt hat.
Ob das Duo Biden/Harris seine Position festigen kann oder strauchelt, ist heute völlig offen. Der Hülle ihres Wahlkampfes fehlt es noch an konkretem Inhalt mit Strahlkraft für wichtige Wählergruppen wie Frauen und die weiße Arbeiterschaft.
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