Der ehemalige Reality-TV-Star hat auf Wahrheit und Ehrlichkeit nie viel gegeben, davon können ehemalige Geschäftspartner ebenso ein Lied singen wie wohl die Mitglieder des Senatsauschusses, die erst vor wenigen Tagen deutlich wie nie festgestellt haben, dass der Präsident und seine Vertrauten in der Russland-Affäre ständig haarscharf an blanken Lügen vorbeischrammten. Wieso aber kümmert das zumindest Trumps treue Stammwähler nicht im mindesten?
Eine Vorliebe für Desperados
Amerika hat seit der Eroberung des Westens immer schon eine Vorliebe für Cowboys mit keineswegs weißer Weste gehabt. Der Desperado - oder nennen wir ihn ruhig Gesetzesbrecher - der sich, auch weil der nächste Richter und die Armee ein paar hundert Meilen weit weg sind, sein eigenes Recht schafft, ist ein Heldenmythos, der so tief in den Amerikanern verankert ist, wie in vielen Österreichern der vom gütigen Landesvater auf dem Kaiserthron. Und dieser Desperado, wie ihn Humphrey Bogarth, Clint Eastwood und Robert Mitchum auf der Kinoleinwand verkörperten, ist obendrein meist kein Mann der vielen Worte, sondern der wuchtigen Einzeiler, die im Moment der schlimmsten Krise, aber auch des Triumphs in den Raum gestellt werden. Trumps Einzeiler sind genauso eingängig, genauso schwergewichtig und genauso halbwahr - und deshalb treffen sie so viele Amerikaner genau an ihrer schwachen Stelle.
Rollenspiele
US-Wahlkämpfe sind mehr als im Rest der westlichen Welt auch Rollenspiele. Es geht darum, in einem Drama die tragende Rolle zu besetzen - und in dieser Kunst ist Trump ein Meister, einfach weil die Selbstinszenierung seine ureigenste Wesenseigenschaft ist. Schon in seinem ersten Wahlkampf hatte sich der New Yorker als der Außenseiter und einsame Krieger positioniert, der gegen ein böses System, das das eigene Volk unterdrückt, ankämpft. Das war für einen Multimilionär und Mehrfach-Bankrotteur bereits damals eigentlich haarsträubend, aber funktionierte blendend, auch weil es Trump gelang, seiner blassen Gegnerin Hillary Clinton, die Rolle der bösen Hexe zuzuweisen, die eigentlich hinter Gitter gehört ("Lock her up").
Zum Bürgerkrieg hochgejazzt
Die zum Bürgerkrieg hochgejazzten Unruhen in vielen US-Städten geben ihm jetzt die Möglichkeit, den Retter zu mimen, der seine Landsleute vor dem schwarzen Mob schützt - auch das übrigens seit dem Kampf um Bürgerrechte in den 1960ern ein gut verankerter amerikanischer Mythos. Und wieder steht ihm mit Joe Biden ein Demokrat gegenüber, dessen größte Schwäche die eigene Farblosigkeit ist. Damit kann ihm Trump - so wie Clinton 2016 - eine Rolle zuschreiben, etwa die der entscheidungsschwachen Schlafmütze in den Händen der Linken. Wir haben noch fast 70 Tage bis zur Wahl und auch wenn die Umfragen derzeit für Trump übel aussehen. Er hat trotzdem noch ein paar gute Karten in der Hinterhand und - wie all die amerikanischen Leinwandhelden - weiß er ziemlich gut, wann er sie spielt.
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