Aufstieg der "political Incluencer": Wo man noch alles sagen darf

Er hatte da diese Assistentin, "wie hieß sie nochmal?" Aber die Frage ist rein rhetorisch, Donald Trump, blauer Anzug, goldene Krawatte, spricht einfach weiter. 2Sie schrieb mir den wunderbarsten Brief, ich sei der beste Präsident. Dann war sie bei CNN und erzählte Lügen über mich.“ Von CNN habe sie dafür schön abkassiert. "So crooked" seien die Medien, so korrupt. Sein Gegenüber, Podcaster Joe Rogan, pflichtet ihm bei: "Damit demontieren sie sich selbst. Und machen Neue Medien groß."
"Neue Medien" wie ihn. Die jedoch kaum etwas mit Journalismus gemein haben.
Über 51 Millionen Aufrufe hat das dreistündige Gespräch zwischen dem künftigen US-Präsidenten und Rogan auf YouTube, allein in den ersten zwei Tagen wurde es 33 Millionen Mal geklickt. Drei Stunden, in denen sich Trump über die Presse auslässt, ehemalige Mitarbeiter beschimpft, Zölle als Reichtumsversprechen für Amerika preist und ihn Rogan für seinen für Politiker untypischen Humor lobt – etwa, als er über Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 gesagt hat, sie gehöre ins Gefängnis. Das Ganze wirkt wie ein zwangloses Gespräch unter Kumpeln, es werden mehr Anekdoten erzählt als politische Programme vorgelegt. Keine Unterbrechungen, keine kritischen Fragen, keine Faktenchecks. "Drei Stunden ungefiltert", lautet ein Kommentar, "das ist, was wir von Journalismus erwarten sollten." Über 100.000 Menschen haben ihn gelikt.
Ungefiltert, unkritisch
Die "Joe Rogan Experience" – so nennt der einstige Stand-up-Comedian, libertär eingestellte Kampfsport-Kommentator und Befürworter von Psychedelika zur Selbstfindung seinen Podcast. Es ist der meistgehörte der Welt. Legendär ist etwa die Folge, in der Rogan mit Trumps künftigem Effizienzberater Elon Musk bei laufender Kamera Marihuana konsumiert. Rogan ist das prominenteste Beispiel für ein politmediales Phänomen, das digitale Plattformen erobert – und, während herkömmliche Medien Konsumenten verlieren, immer mehr Menschen erreicht.
Journalisten sind Joe Rogan oder Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson, einer der ersten, der das Format etablierte, keine (mehr) – wollen sie, mit betonter Ablehnung den herkömmlichen Medien gegenüber, auch gar nicht sein. Viel mehr seien sie "politische Influencer", sagt Kommunikationswissenschafterin Sophie Lecheler von der Universität Wien. "Sie verwenden journalistische Methoden wie Interviews, folgen aber keinen journalistischen Kriterien wie Objektivität oder Transparenz."
Dafür ist Unterhaltung wesentlich. Viele der großen Namen der Szene, neben Rogan etwa Theo Von, haben Comedy-Hintergrund. Im entfernteren Sinn ist das eine Weiterentwicklung der in den USA populären Late-Night-Shows, die seit Jahrzehnten Comedy und politische Schlagzeilen kombinieren.
Lieber beim Influencer als im TV
Was fehlt, ist der journalistische Filter – kritische Fragen, Faktenchecks, Ausgewogenheit bei den Gesprächspartnern. Es gehe um reine Meinungsverbreitung. Das mache solche Formate auch für Politiker attraktiv, sagt Lecheler.

Ungefiltert, unzensiert, ununterbrochen: Damit erreicht Joe Rogan Millionen Menschen.
Umgekehrt wird dieser Filter des Journalismus von vielen politischen Influencern als etwas Negatives verunglimpft, als Werkzeug der Manipulation dargestellt. Die vermeintlich absolute Wahrheit, die gäbe es nur bei ihnen, so das Allheilversprechen. In den USA, wo Medien extrem politisiert sind – vom rechtskonservativem Fox News über den den Demokraten nahestehenden Nachrichtensender MSMBC bis zu den New York Times, die eine Wahlempfehlung für Kamala Harris abgegeben hatten – trifft dieser Vorwurf auf fruchtbaren Boden.
Trump hat im Wahlkampf erstmals extrem auf Plattformen wie die von Rogan gesetzt, klassische Medien gemieden und im Vergleich zu den Demokraten weitaus weniger Millionen Dollar in Fernsehwerbung investiert. Mit Erfolg? Das Publikum von Joe Rogan ist dem Marktforschungsinstitut YouGov zufolge zu über 80 Prozent unter 30 Jahre alt und männlich; in dieser Wählergruppe lag Trump überraschend 14 Prozentpunkte vor Harris.

Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson war einer der ersten, der das Format etablierte, und sich vollkommende Redefreiheit verschaffte.
Das Reuters Institute for the Study of Journalism der Uni Oxford analysiert jährlich die Mediennutzung weltweit: Fox News ist Marktführer in den USA, 27 % der Befragten gaben an, Fox News wöchentlich zu konsumieren (danach CNN: 23 %). 48 % sehen CNN als vertrauenswürdig (Fox News: 43 %). Am häufigsten werden Facebook und YouTube für den Nachrichtenkonsum genutzt. Überhaupt werden digitale Plattformen viel eher genutzt als die Websites der jeweiligen Medien. 44 % gaben an, im vergangenen Monat einen Podcast gehört zu haben (in Österreich 33 %). Im Rahmen der Umfrage in Österreich äußerten 35 % der Befragten, Vertrauen in die Medien insgesamt zu haben – das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung 2015.
In der Echokammer?
Trotzdem, betont Lecheler, "hat Rogan die Wahl nicht entschieden. Damit würden Journalisten die eigene Verantwortung negieren". Auch dürften derartige "Echokammern" nicht überschätzt werden: Jener Anteil der Bevölkerung, der ausschließlich dort Informationen konsumiere, sei gering. Zudem seien Echokammern auch keine neue Entwicklung: "Wir haben uns schon immer die Informationen gesucht, die zu uns und unseren Meinungen passen", so Lecheler. Auch junge Leute konsumierten nach wie vor herkömmliche Medien – allerdings in neuen Formen, wie Kurzvideos oder Podcasts. Und: "Nicht jeder, der Joe Rogan hört, vertraut dem Gesagten unhinterfragt."
Rogan hat einen Tag vor der Wahl wenig überraschend seine Unterstützung für Trump öffentlich gemacht. Vor acht Jahren galt er noch als großer Fan des altlinken Senators Bernie Sanders. Der war zuletzt vor fünf Jahren Gast in seinem Podcast, und hat im Wahlkampf dafür plädiert, dass auch die Demokraten mehr auf diese Plattformen setzen sollten. Harris hatte aus Angst vor einer Gegenreaktion ihrer Anhänger eine Einladung bei Rogan ausgeschlagen.
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