US-Experte: "Wie bei einem Trainerwechsel"

Experte Reinhard Heinisch sieht im Interview mit dem KURIER noch Siegeschancen für Mitt Romney.

Hurrikan Sandy hin, das hoch gelobte Krisenmanagement des Präsidenten her: Auch wenn Barack Obama nach der Sturmkatastrophe in den letzten Tagen des Wahlkampfes punkten konnte, verkünden die Umfragen anderes. Nach wie vor liegt der Amtsinhaber Kopf-an-Kopf mit seinem Herausforderer Mitt Romney. Das könnte für den Präsidenten zu wenig sein, um die Wahl am Dienstag zu gewinnen, glaubt US-Experte Reinhard Heinisch. Die Dynamik des Rennens, so der Uni-Professor mit amerikanischem Pass, "spricht für Romney".

KURIER: Hätte Präsident Obama als Amtsinhaber nicht als klarer Favorit ins Wahlfinish gehen müssen? Wie konnte Obama seinen Vorsprung verspielen?
Reinhard Heinisch: Das ist nicht so rätselhaft. Die unentschiedenen Wähler sind nicht wirklich unentschieden, sondern tendieren eher zum Herausforderer – in der Regel 75 Prozent. Wenn man vier Jahre nicht mit dem Amtsinhaber zufrieden war, ist es eher unwahrscheinlich, dass es einen in den letzten zwei Wochen zum Amtsinhaber hinzieht. Obama hatte eine geschickte Wahlkampagne, in der Mitt Romney geradezu cartoonartig präsentiert wurde: Steif, teilweise nicht ganz fähig, abgehoben, ein Superreicher. Romney selbst ist in viele Fettnäpfchen getreten und das hat viele Leute abgehalten, für Romney zu stimmen.
Aber dann haben bei der ersten TV-Debatte 70 Mio. Menschen zugesehen, und dort hat sich Romney als präsidentenhaft, staatsmänisch und sympathisch dargestellt. Er hat sich als Mann des Zentrums präsentiert und für viele Leute hat er dieses letztes Quäntchen Zweifel ausgeräumt.
Dennoch bleiben große Fragezeichen: Jeder, der heute sagt, er weiß, wie die Wahl ausgeht, lügt. Durch die Wahlarithmetik hat Obama bei den so-genannten Swing-States noch immer einen gewissen Vorteil. In Ohio hat Obama noch immer einen knappen Vorsprung, und ohne Ohio kann Romney die Wahl nur sehr schwer gewinnen. Nur: In den meisten nationalen Umfragen liegt Romney jetzt leicht vorne.

Der nächste Präsident könnte also Romney heißen?
Es sieht für mich derzeit so aus, dass Romney gewinnen wird. Die Dynamik spricht für ihn. Als Amtsinhaber müsste Obama in den nationalen Umfragen weiter vorne liegen, damit sich der Sieg ausgehen soll, doch hier liegt Romney in den meisten entweder gleich auf oder sogar knapp vorne. Aber es gibt noch viele Unbekannte – allein Wirbelsturm Sandy könnte Obama doch noch helfen, wenn er das Krisenmanagment gut schafft und keine Fehler macht. Die USA entscheiden seit 15 Jahren bei Präsidentenwahlen extrem knapp. Wir sprechen nur von einer ganz geringen Verschiebung der Wahlergebnisse. Alles hängt von der Wahlbeteiligung ab, wer geht zu den Wahlen und wer bleibt zu Hause. Wer kann seine Basis besser mobilisieren. Einen Nachsatz noch: Es gibt in den USA die Möglichkeit des early votings. 2008 hat man gesehen, dass die Wähler am Wahltag mehrheitlich für John Mc Cain gestimmt haben. Bei denen, die früher wählten, gab es eine Mehrheit für Obama. Zuletzte hat ein Drittel der Wähler vor dem Wahltag gewählt.

Warum wäre aus europäischer Sicht ein Wahlsieg Mitt Romneys so unverständlich?

Die europäische Blick auf die Republikaner ist voller Gräuelgeschichten, es gibt keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Agenda der Grand Old Party. Man sieht in Europa ein paar schräge Typen der Tea Party und verbindet die mit den Republikanern. Das ist, als ob man in Europa ein paar autoanzündende Anarchos zeigen und sie als links präsentieren würde und dann einen sozialdemokratischen Politiker mit ihnen in Verbindung bringt. Von Europa aus gesehen wird nicht unterschieden, Tea Party, Evangelikale, Kapitalisten – aus europäischer Sicht wird alles durcheinandergewürfelt – aber die Wirklichkeit ist wesentlich differenzierter.

Was würde sich für die Welt mit einem Präsident Romney ändern?

Er wird von rechts regieren, aber das wird vor allem innenpolitisch sein. Um seine innenpolitische Agenda umzusetzen, braucht er außenpolitisch freie Hand und das geht nur, wenn er sich dabei nicht zu sehr verzettelt. Daher sehe ich keine wesentlich andere Außenpolitik, als sie Obama betreibt. Natürlich gibt es die Unbekannte – Israel und Iran. Aber Romney ist sehr berechenbar, er ist ein Analytiker, ein Daten-Mann, er analysiert, er umgeht riskante Hasardspiele. Ich sehe nicht, dass Romney mutwillig einen Krieg vom Zaun brechen würde.

Was kann ein Wähler in der Mitte von Romney erwarten?

Etwa die Hälfte der amerikanischen Arbeitnehmer werden von Klein- und Mitttelbetrieben beschäftigt. 50 Prozent dieser Kleinunternehmen zahlen nicht die viel niedrigere Unternehmenssteuer, sondern eine wesentlich höhere Individualsteuer. Die Steuersenkung, die Romney befürwortet, würde diese Unternehmen begünstigen und sie dazu bringen, mehr Leute anzustellen. Sein Plan wäre: Gezielte Steuersenkungen, Deregulierung und ein Deal mit dem Kongress, wie man langfristig mit das riesige Staatsdefizit senken kann.

Gibt es in dieser Wirtschaftslage den besseren Kandidaten?

Viele Leute wählen nicht strategisch oder nach Parteiprogramm, sondern eher aufgrund eines Gefühls. Da gibt es das Gefühl, Obama hat es versucht, aber nicht das bewirkt, was man sich gewünscht hat. Und dann denkt man: Vielleicht bringt ein anderer mehr weiter. Wie bei einem Trainerwechsel.
Auch wenn es unfair ist, und wenn Obama Vieles versucht hat, aber die Amerikaner gehen sehr ungern zurück und rechnen auf, wer jetzt was getan hat.

Warum ist die Gesundheitsreform und die Krankenversicherung für alle Amerikaner, die Obama durchgesetzt hat, kein Thema, mit dem der Präsident punkten kann?

Amerikaner haben einen viel besseren Sozialstaat als dies Europäer verstehen. Sie haben gemessen an den niedrigen Beitraegen und wenigen notwendigen Beitragsjahren eine relativ großzügige Sozial- und Krankenversicherung für alle Älteren. Sie ist so großzügig, dass die USA nach 2030 der Staatsbankrott droht. Immerhin gibt es an die 30 Milliarden ungedeckter staatlicher Sozialleistungen für die Baby Boom-Gerenation, die jetzt anfängt in Pension zu gehen. In dieser Frage gibt es auch von Romney derzeit keine Vorschläge, auch Obamas Gesundheitsreform löst dieses Problem nicht ganz. Die meisten Amerikaner bekommen ihre Krankenversicherung kostenlos vom Arbeitgeber, er muss also nichts dazuzahlen. Wenn man ihm jetzt aber sagt, du musst etwas dazuzahlen, damit auch die anderen, Unversicherten künftig krankenversichert sind, dann ist man sicher dagegen. Dass dieses Thema nicht so populär ist, überrascht also nicht.

Wo liegen Obamas Fehler?
Das zentrale Problem Obamas ist: Er ist ein Exote im amerikanischen Kontext. Seine Biografie: In Hawaii geboren und teilweise in Indonesien aufgewachsen, afrikanischer Vater, allein erziehende weiße Mutter, ein Professor - in jeder Hinsicht ist Obama ein Exote. Das war ein Vorteil, als man nach George Bush etwas ganz anderes wollte. Aber das ist ein Nachteil, wenn nicht eintritt, was man sich erwartet hat. Dann merkt man: Der ist so anders wie viele Durchschnittswähler. Obama wird oft als Professor in Chief bezeichnet, er ist nicht sehr gut im verkaufen seiner Politik. Er mag die Theatwerwelt der Politik nicht, im Gegensatz zu Bill Clinton, der jedem das Gefühl gab: es gibt niemand wichtigeren als dich. Er ist ein sehr einsamer Politiker. Er ist weniger der Chef-Kommunikator als der Chef-Professor. Dadurch wirkt er ein wenig abgehoben.

Romney wirkt doch genauso abgehoben?
Ja, das war ja sein Image. Aber dann war er bei der ersten TV-Debatte so anders. Da hat er den Zuschauern bewiesen, dass er anders sein kann. Und wir reden ja nicht von der Mehrheitsbevölkerung, die darauf reagierte, sondern von den wenigen Prozent unentschlossener Wähler, die sich dann neu orientiert haben.

Könnte Romney die politische Blockade besser lösen als Obama?

In Europa haben wir eine Ent-Ideologisierung, in Richtung politischer Mitte, in der man die Parteien oft nicht mehr unterscheiden kann. Was unterscheiden Sozialdemokraten von Christlich-Sozialen? In den USA ist es genau umgekehrt, hier hat man immer eher unideologisch, pragmatisch für eine Politik agiert. Jetzt ist es hier extrem ideologisiert, alles wird politisch, von der Evolutionslehre bis zum Klimawandel, alles ist politisch-ideologisch aufgeladen, und das führt auch zum gegenseitigen Missverstehen. Früher haben in den USA beide Seiten Fakten als Fakten akzeptiert, jetzt werden sogar Fakten angezweifelt, siehe Klimawandel. In dieser Situation gibt es kaum ein Thema, das nicht sofort von der einen oder der anderen seite vereinnahmt wird. sofort so oder so gesehen wird. Das führt zu massiven Problemen.

Welche Rolle nimmt der online-Wahlkampf im Rahmen des Wahlkampfes ein?
Der Wahlkampf online wird seit 2000 immer wichtiger. Zuerst war bot das internet nur ein elektronisches Plakat dessen, was auch in den etablierten Medien angeboten wurde. Dann wurden die Homepages virtuelle Wahl-Hauptquartiere. Von dort aus kann man Leserbriefkampagnen organisieren, Block-Parties (von Häuserblock/Nachbarschaft) initiieren. Dann wurden politische Blogs immer wahlwichtiger. Wenn man die Blogossphäre beherrscht, erreiche man dadurch wiederum auch die etablierten Medien. Twitter, Blogs, Fundraising, auch das ist ein Gradmesser, wie erfolgreich jemand im Wahlkampf ist.

Warum hat Obama die Homo-Ehe zum Wahlkampfthema gemacht?

Traditionell war es bisher immer her so, dass die Demokraten eine Themen-Kampagne gefahren haben, weil sie ihre bestimmten Wählergruppen mit bestimmten Themen ansprechen wollen. Republikaner waren bisher immer eher werteorientiert: Die berühmten 3 Gs: God, Gays und Guns. Jetzt aber ist es so, dass Romney das Thema Wirtschaft anspricht, weil er bei den Werte-Themen als Mormone eher verwundbar ist. Und es ist Obama, der Themen wie die Homo-Ehe thematisiert hat. Das ist also eine Umdrehung der Themen, wie es bisher war. Die US-Bevölkerung ist in dieser Hinsicht liberaler geworden und Obama muss ja den Jungen und seiner Basis beweisen, dass es sich von Romney in Schlüsselfragen unterscheidet, daher das Thema Gays als Signal.

Was, wenn Obama die Wahl nach Wahlmännern gewinnt, aber nicht die Mehrheit der Stimmen ?
Für Amerikaner wäre das kein großes Problem. Sicher, die Verliererseite wird jammern und schreiben, dass es unfair ist. Aber die Mehrheit der Wähler wird antworten: „So sind die Regeln.“

Amerika-Experte - Der österreichische Politologe gilt als einer der renommiertesten USA-E­xperten. Heinisch (49) unterrichtete 14 Jahre lang an der University of Pittsburgh in Johnstown (US-Bundesstaat Pennsylvania). Vor drei Jahren übernahm er eine Professur an der Universität Salzburg.

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