Latinos: Obama schon gewonnen

Latinos: Obama schon gewonnen
An den "Hispanics“ kann in den USA kein Wahlkämpfer vorbei. In ihrer Gunst liegt der US-Präsident vor Romney.

Wirbelsturm Sandy hat Kälte und Regen nach Washington gebracht. Im Lokal Busboys and Poets aber ist es warm und gemütlich. Trotzdem herrscht am Tisch eine stürmische Stimmung beim Thema US-Wahlkampf. „Lass mich doch bitte ausreden!“, hebt der 34-jährige Mauricio B­otero seine Stimme an und lehnt sich bedrohlich zum 36-jährigen Felipe Buitrago hinüber, der neben ihm sitzt, über seinen Kinnbart streicht und einfach weiter spricht. Es scheint, als ob die beiden Kolumbianer gleich miteinander raufen würden, während sie über die Wahlen in wenigen Tagen diskutieren. Dabei dürfen sie eigentlich gar nicht abstimmen, weil sie keine amerikanischen Staatsbürger sind.

„Noch nicht“, erklärt Mauricio, ein stark gebauter Typ mit breitem Gesicht und einer weißen Baseball-Kappe. Er ist für die Business-Strategie eines Washingtoner Privatunternehmens zuständig. „Ich werde meine Staatsbürgerschaft in den nächsten Tage bekommen, glaube aber nicht, dass der Bescheid noch vor dem Wahltag da ist“, sagt er.

Auf Kosten der Armen

Latinos: Obama schon gewonnen

Es tue ihm leid, dass er nächste Woche nicht wählen könne. Anderseits sei Präsident Obama in Washington der Sieg sicher, es komme also nicht auf Mauricios Stimme an. „Ich mag Obama, weil ich eher seine Ansichten teile als die des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney“, so der Kolumbianer. Die USA bräuchten mehr Steuereinnahmen und auch Budgetkürzungen. Romney werde dies aber auf Kosten sozialer Programme wie Lebensmittelmarken und die freie Krankenversicherung für die Armen, Medicaid, schaffen, befürchtet Mauricio.

Was die Immigration angeht – eine Frage, die den Hispanics in den USA besonders am Herzen liegt –, sei der republikanische Kandidat in Ordnung. Der Kolumbianer ist selbst dafür, dass illegale Zuwanderer – sehr viele kommen aus Lateinamerika – Papiere bekommen. „Man darf ihnen aber nicht einfach so die Greencard oder die Staatsbürgerschaft schenken, sonst wird das noch mehr Leute ermutigen, auf diesem Weg hierher zu kommen“, befürchtet er.
Obama ist der richtige Kandidat, wenn es um Immigration gehe, glaubt auch Fernanda Tilataxi. „Er bietet mehr an für Menschen aus anderen Kulturen, da er aus persönlicher Erfahrung weiß, was sie durchmachen. Er kennt selbst, was Diskriminierung bedeutet und repräsentiert nicht nur die weißen Amerikaner“, so die 33-jährige Biologin. Vor zwölf Jahren kam sie in die USA, um zu studieren. 2008 durfte sie zum ersten Mal im Land wählen und gab ihre Stimme Obama. „Nächste Woche werde ich ihn wieder wählen. Er hat zwar bis jetzt nicht viel getan, aber verdient eine zweite Chance“, meint Fernanda Tilataxi.

Bald über 100 Millionen

Die Amerikaner mit lateinamerikanischem Hintergrund sind eine wichtige Wählergruppe – elf Prozent aller Wahlberechtigten im Land. Sie sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in den USA: In 40 Jahren werden sie laut Schätzungen mehr als 100 Millionen Menschen ausmachen.

Von den lateinamerikanischen Wählern steht eine Mehrheit von 69 Prozent – laut dem Meinungsforschungsinstitut Pew Research – hinter Obama. Der Rest unterstützt seinen republikanischen Herausforderer.

„Ich habe einen Freund“, erzählt ein dunkler Typ im knallroten T-Shirt, „der ist selbst ein Immigrant. Jetzt wählt er aber republikanisch, weil er seine Herkunft verleugnet“, so der Mann. Er will seinen Namen nicht nennen, nur dass er aus Peru kommt und erst ab nächsten März in den USA wählen darf. Hätte er schon grünes Licht, würde er nächste Woche für Präsident Obama stimmen, erklärt der Mann, während er Kaffee aus einem Papierbecher in einem Fast-Food-Lokal neben der U-Bahnstation Columbia Heights trinkt.

Immer mehr Latinos ziehen in diese bis vor Kurzem afro-amerikanische Washingtoner Gegend, die zunehmend zu einem In-Viertel wird. Doch viele ihrer Bewohner sind immer noch einfache Menschen. Manche sprechen kaum Englisch, behaupten, sie dürften nicht wählen und wollen ihre Meinung über die Präsidentschaftswahl nicht sagen. „Weil sie vielleicht illegal hier sind“, sagt ein Passant im Vorbeigehen, der selbst wie ein Lateinamerikaner aussieht.
Silvia Freeman ist gebürtige Amerikanerin. Sie betrachtet sich aber auch als Latina. Ihre Mutter kommt aus Lateinamerika, und sie ist selbst in Bolivien aufgewachsen. Die junge Frau arbeitet im Theater. Bis vor Kurzem hatte sie eine Wohnung in Adams Morgan, der Washingtoner Party-Gegend, die an Columbia Heights grenzt. Nun lebt sie am Stadtrand, im Swing State Virginia. „Gewöhnlich wähle ich demokratisch. Jetzt bin ich aber unentschieden“, sagt die hübsche Frau mit dem großem freundlichen Lächeln. Romney habe den Blick des Geschäftsmannes, die Dinge voranzutreiben, und das fehle Präsident Obama. „Ich weiß, dass es Zeit braucht, etwas zu erreichen“, sagt Silvia und hat doch keine Geduld mehr: „Ich habe bis jetzt nicht gesehen, was Obama im Land geändert hätte.“

Sie sind im Rennen um das Weiße Haus, aber man sieht sie kaum. Und doch könnten sie bei einem knappen Wahlausgang Barack Obama und Mitt Romney entscheidende Stimmen wegschnappen. Die Rede ist von den „kleinen“ Kandidaten.

Drei von ihnen könnten den Hauptkontrahenten Kopfschmerzen bereiten: Die Ärztin Jill Stein von den Grünen, der frühere republikanische Gouverneur New Mexicos, Gary Johnson, von der Libertarian Partei, und der republikanische Ex-Abgeordnete Virgil Goode aus Virginia, nun von der Konstitutionspartei.

„Genau wie alle anderen habe ich die Verantwortung, der Regierung entgegenzutreten, die zu weit gegangen ist“, verkündet die Vize-Kandidatin der Grünen, Cheri Honkala, bei einem Wahlkampfauftritt in Washington. 25 Leute sind in den Keller einer Bezirksbibliothek gekommen, um der energischen Frau mit den pechschwarzen Haaren zuzuhören. Manche sind Mitglieder der Grünen, viele sehen kränklich aus, oft spricht man über Festnahmen. „Sieben meiner letzten Festnahmen waren Straftaten“, sagt Honkala stolz. Ihr Publikum lacht. „Ich gehe überall hin, wo Obama und Romney nicht hingehen, wie Reservate (für Indianer, Anm.) und Obdachlosenasyle. Honkala, früher selbst obdachlos, spricht über Armut, Wohnungsnot, Rassentrennung.

Das Gallup-Institut gibt den Grünen nur ein Prozent der Stimmen. Kaum besser dürften Johnson und Goode abschneiden. Johnson wirbt damit, er sei bei Finanzen konservativer als Romney und bei Sozialfragen liberaler als Obama. Er ist für die Legalisierung von Marihuana zu medizinischen Zwecken, für die Homoehe und liberalere Einwanderungsgesetze.

Goode dagegen will noch schärfer gegen illegale Einwanderer vorgehen, die Green-Card-Ausgabe stoppen, bis die Arbeitslosigkeit auf fünf Prozent gesunken ist und kein Budgetdefizit dulden.

Je nach Umfrage gehen Präsident Barack Obama und sein Herausforderer Mitt Romney mit hauchdünnem Vorsprung in die allerletzten Tage des Wahlkampfes. Mal liegt der amtierende Herr des Weißen Hauses um ein paar Zehntelprozentpunkte (also eine statistisch vernachlässigbare Größe) vor dem Republikaner, mal weist dieser wiederum ein Plus von 0,6 Prozentpunkten aus. Im Grunde kreisen beide Kontrahenten seit Wochen jeweils um die 47 Prozent Popularität.

Anders sieht es aus, wenn es nach bestimmten ethnischen und sozialen Wählergruppen im Land geht: Amerikas Frauen stehen eher auf Obamas Seite – 52 Prozent wollen ihn laut Umfragen wählen.

Spiegelverkehrt dazu das Bild der Männer : 51 Prozent werden Romney den Vorzug geben. Am entschlossensten sind dabei eindeutig die weißen Männer, denn in der Gruppe der Latinos (siehe oben) und der Afro-Amerikaner kann sich, wenn überhaupt nur eine winzige Minderheit für den Republikaner erwärmen. Insgesamt wollen heuer, wie auch schon vor vier Jahren 95 Prozent der afro-amerikanischen Wähler für „ihren schwarzen Präsidenten“ stimmen. Auch bei Amerikas Jungen ist Barack Obama kaum zu schlagen, rund 55 Prozent der unter 29-Jährigen wollen ihn auch die nächsten vier Jahre im Weißen Haus sehen. Allerdings hat ihre Begeisterung wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise, die sie besonders spüren, stark nachgelassen. 2008 hatten sich noch mehr als 80 Prozent der Jugend für Barack Obama erwärmt.

So gut wie chancenlos ist der demokratische Präsident hingegen bei der Gruppe der religiösen Rechten: Wer weiß, religiös, evangelikal und wertkonservativ ist, wird Romney wählen, auch wenn der Mormone Romney in bestimmten Kreisen der religiösen Rechten mit größter Skepsis gesehen wird. Amerikas Katholiken wiederum tendieren eher zu den Demokraten: Zu 51 Prozent wollen sie dieses Mal Barack Obama wählen.

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