Rebellen und Zivilisten dürfen Ost-Aleppo verlassen

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Rebellen in Ost-Aleppo haben sich nach eigenen Angaben mit dem syrischen Regime auf einen Abzug aus der Stadt geeinigt. Zivilisten und einige Kämpfer dürften die Rebellengebiete verlassen, sagte ein Sprecher einer Rebellengruppe.

Die Stellungnahme von Rupert Colville beschreibt den Horror, der in der umkämpften Stadt Aleppo stattfindet: "Wir haben Berichte erhalten, dass viele Zivilisten von Regierungstruppen festgehalten werden. Wir wurde darüber informiert, dass Soldaten Häuser von Zivilisten betreten haben. Die Zivilisten wurden tot aufgefunden, darunter waren Frauen und Kinder."

Insgesamt seien 82 Menschen, die weder mit den Rebellen in Ost-Aleppo noch mit den einmarschierenden Regierungstruppen etwas zu tun hätten, getötet worden, heißt es in der Stellungnahme des Sprecher des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte. Darunter seien elf Frauen und 13 Kinder aus vier verschiedenen Bezirken des bisher von Rebellen gehaltenen Ostteils der Stadt.

"Wir hoffen, dass die Berichte falsch oder übertrieben dargestellt sind", aber das UNO-Büro könne sich auf glaubwürdige Informationen von vor Ort berufen. Die meisten Opfer seien "wahrscheinlich in den vergangenen 48 Stunden" getötet worden. Rupert Colville spricht von einem "völligen Zusammenbruch der Menschlichkeit". Für jene Menschen, die noch im "höllischen Viertel" der Stadt gefangen seien, habe man "düstere Vorahnungen".

Rebellen und Zivilisten dürfen Ost-Aleppo verlassen
AFP PICTURES OF THE YEAR 2016 Syrian men carrying babies make their way through the rubble of destroyed buildings following a reported air strike on the rebel-held Salihin neighbourhood of the northern city of Aleppo, on September 11, 2016. Air strikes have killed dozens in rebel-held parts of Syria as the opposition considers whether to join a US-Russia truce deal due to take effect on September 12. / AFP PHOTO / AMEER ALHALBI

Millitär: Vollständige Eroberung

Das syrische Militär steht nach eigenen Angaben unmittelbar vor der Rückeroberung von Aleppo. Sie könne "jeden Augenblick" die volle Kontrolle über die Großstadt verkünden, teilte die Armee am Dienstag mit. Die Einheiten rückten in die noch von Rebellen gehaltenen Stadtbezirke Sukkari und Teile von Seif al-Daula, Al-Amirija und Tel al-Sarassir vor, sagte ein Militärsprecher.

Wenn diese Gebiete noch am Dienstag oder am Mittwoch erobert seien, sei der Einsatz beendet. Die Aufständischen setzten ihren Rückzug fort, sagte er weiter. Unterdessen haben sie sich nach eigenen Angaben mit dem syrischen Regime auf einen Abzug aus der Stadt geeinigt. Zivilisten und einige Kämpfer dürften die Rebellengebiete verlassen.

Der Grüne Europaabgeordnete Michel Reimon rief unterdessen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) dazu auf, den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu zu drängen, Hilfskonvois und medizinische Hilfe für die Menschen in Aleppo zuzulassen. "Aleppo darf nicht Srebrenica werden", schrieb Reimon. Seiner Ansicht nach erzeugen der syrische Machthaber Bashar al-Assad und Putin "genau jene Flüchtlingssituation, vor der sich Kurz abschotten will".

Ban spricht von Gräueltaten

Bereits zuvor hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon seine Besorgnis angesichts von Berichten über Gräueltaten gegen zahlreiche Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, zum Ausdruck gebracht.

Rebellen und Zivilisten dürfen Ost-Aleppo verlassen
TOPSHOT - Syrian civilians flee the Sukkari neighbourhood towards safer rebel-held areas in southeastern Aleppo, on December 12, 2016, during an operation by Syrian government forces to retake the embattled city. The crucial battle for Aleppo entered its "final phase" after Syrian rebels retreated into a small pocket of their former bastion in the face of new army advances. The retreat leaves opposition fighters confined to just a handful of neighbourhoods in southeast Aleppo, the largest of them Sukkari and Mashhad. / AFP PHOTO / STRINGER

Zwar könnten die Vereinten Nationen die Berichte über solche Gräueltaten nicht unabhängig überprüfen, doch habe der UN-Generalsekretär den Konfliktparteien seine "ernste Sorge" übermittelt, sagte ein UN-Sprecher am Montag in New York. Vor allem die syrische Armee mit ihren Verbündeten Russland und Iran müssten Zivilisten schützen.

Binnen 24 Stunden sind laut der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 10.000 Zivilisten aus den seit 2012 von den Rebellen gehaltenen Vierteln in Ost-Aleppo geflüchtet. Der vollständige Fall der Stadt in Regierungshände wäre die schwerste Niederlage für die Rebellen in dem seit 2011 währenden Konflikt in Syrien. In West-Aleppo waren einem AFP-Reporter zufolge am Montagabend bereits Freudenschüsse zu hören. Das staatliche syrische Fernsehen zeigte feiernde Menschen, die Bilder von Staatschef Bashar al-Assad und syrische Flaggen hochhielten.

Merkel: "Situation ist desaströs"

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande haben vom kommenden EU-Gipfel ein klares Signal für die Unterstützung der notleidenden Menschen im syrischen Aleppo gefordert. "Die Situation ist desaströs. Sie bricht einem das Herz", sagte Merkel am Dienstag in Berlin.

Es müsse auf allen Ebenen dafür gesorgt werden, dass die Zivilbevölkerung geschützt und humanitäre Unterstützung möglich werde. Der Appell richte sich an das syrische Regime, aber auch an seine Unterstützer Russland und Iran.

Hollande forderte, alles zu unternehmen, um die Zivilbevölkerung aus dem Osten Aleppos in Sicherheit zu bringen und humanitäre Korridore zu schaffen. Er warf Russland vor, im Sicherheitsrat jeden Fortschritt zu blockieren. "Ohne die Russen kein syrisches Regime", sagte er.

Hilferufe aus Aleppo

Obwohl Regimetruppen und Verbündete bereits mehr als 90 Prozent von Ost-Aleppo kontrollieren, ist die syrische Stadt noch nicht gefallen. Die Kämpfe in den Straßen gehen weiter. Über Soziale Medien machen Bewohner noch einmal auf die drastische Situation aufmerksam. Lina Shamy wendet sich über Twitter an die Öffentlichkeit: "Alle, die mich hören können", sagt die junge Frau am Anfang der Aufnahme, "das könnte mein letztes Video sein." Sie bezeichnet sich selbst als Teil der syrischen Revolution. "Wir sind hier einem Genozid ausgesetzt", sagt sie und ruft die Menschen auf: "Geht nicht schlafen, ihr könnt etwas tun." Unter den Tweet setzt sie den Hashtag #saveAleppo. Das Video wurde vielfach retweetet.

https://twitter.com/Linashamy/status/808422105809387520
Lina shamy (@Linashamy

Wer sich unter dem Hashtag #Aleppo durch die Twitternachrichten scrollt, findet Dutzende solcher Videos. Ob es sich bei allen um authentische Aufnahmen handelt, ist nicht immer zweifelsfrei zu klären. Der freie Journalist Zouhir al-Shimale berichtet seit Beginn des Kriegs aus Aleppo. In dieser Aufnahme zeigt er die täglichen Luftattacken über der syrischen Metropole, die vollkommen zerstört ist.

https://twitter.com/MiddleEastEye/status/808362003458912256
Middle East Eye (@MiddleEastEye

Unterstützer von Syriens Machthaber Bashar al-Assad haben den bevorstehenden Sieg über die Rebellen in Aleppo gefeiert. Im vom Regime kontrollierten Westteil der früheren Handelsmetropole schwenkten Menschen Nationalfahnen oder hupten lautstark mit ihren Autos. Auch in der Hauptstadt Damaskus spielten sich ähnliche Szenen ab.

"Unser Präsident hat uns den Sieg über die Terroristen versprochen", sagte ein Mann in Damaskus. "Die loyalen und patriotischen Syrer haben gewonnen."

Syriens Präsident Assad hatte immer wieder von der Rückeroberung Aleppos gesprochen. Die Stadt war nahezu seit Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 2012 zwischen Regierungstruppen und Rebellen geteilt und heftig umkämpft.

Im Zuge der aktuellen Militäroffensive gegen die Aufständischen sind nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte allein im vergangenen Monat fast 600 Zivilisten getötet worden: Mehr als 400 im von Rebellen kontrollierten Osten, etwa 130 in den westlichen Stadtvierteln, die vom Regime gehalten werden.

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