Orbáns schmutziger Batterie-Traum – doch es gibt Widerstand
Juli, 2022: Eine Explosion erschüttert eine Batterie-Recyclinganlage der südkoreanischen Firma SungEel im nordungarischen Bátonyterenye.
Drei Menschen werden verletzt. Es werden katastrophale Feinstaubwerte gemessen und eine Kontaminierung von Boden und Grundwasser festgestellt. Das Werk wird im August 2023 geschlossen.
März, 2023: Bei einer Anlage derselben Firma in Szigetszentmiklos, südlich von Budapest, sterben bei einer Explosion zwei Arbeiter. Krebserregende Schwermetalle in der Luft sollen um ein Vielfaches über den zulässigen Grenzwerten gelegen sein.
Genau davor fürchtet sich Reinhard Sailer. Sailer wohnt im 3.800-Einwohner-Dorf Sóskút, südwestlich von Budapest, und ist einer jener, die sich gegen den Bau einer Recyclinganlage für Elektroautobatterien von der slowenischen Firma Andrada Group hier stellen. Zwar hat das Projekt wider Erwarten nicht den Status "Gehobene Investition" bekommen. Das hätte geheißen, dass das Projekt von Staatsseite priorisiert und in den Genuss von Steuererleichterungen und schnelleren Genehmigungsverfahren gekommen wäre. Sailer spricht jedoch nur von einem "vorläufigen Erfolg": "Spätestens nach den Kommunalwahlen im Juni dürfte sich das ändern."
Es ist längst kein Geheimnis, dass die ungarische Regierung das Land zum weltweit zweitgrößten Produktionsstandort für Batterien für Elektrofahrzeuge machen will (Platz eins belegt China mit 77 Prozent, gefolgt von den USA und Polen mit je 6 Prozent, dann kommt Ungarn mit 3 Prozent). Ausländische Mega-Konzerne – vorwiegend aus China und Südkorea – lockt man mit attraktiven Standortbedingungen: mitten in der EU mit Zugang zum Binnenmarkt, vergleichsweise geringe Orts- und Personalkosten, sowie zahlreiche deutsche Autohersteller, die hier ihre Fabriken haben und sich immer mehr der "grünen" Fortbewegung verschreiben. Der weltgrößte E-Auto-Hersteller BYD hat erst Ende des Vorjahres verkündet, sein erstes europäisches Werk in Ungarns drittgrößter Stadt Szeged zu bauen. Und das, obwohl Ungarn eigentlich nicht über die Mengen an Wasser und Energie verfügt, die für eine groß angelegte Akku-Produktion benötigt werden.
In Debrecen stellte sich die Bevölkerung deswegen vehement gegen ein Batterie-Werk des chinesischen Konzerns CATL (dessen Batteriezellen etwa Mercedes-Benz bezieht): In den vergangenen Sommern wurde die Region von extremen Dürremonaten heimgesucht.
Niedrige Strafen, hohe Subventionen
Glaubt man Kritikern, besticht Ungarn aber vor allem mit einem attraktiven Merkmal: der laschen Umsetzung von EU-Vorschriften, was Gesundheits- und Umweltstandards angeht. "Die Strafen, die die ungarischen Behörden bei einer Missachtung verhängen, sind zu niedrig, während die Subventionen, die die Firmen vom Staat bekommen, sehr hoch sind", sagt Chemiker Gergely Simon von Greenpeace Ungarn zum KURIER.
Ein Beispiel: Dem Investigativportal Atlatszo zufolge hat die Firma SungEel für ihr mittlerweile geschlossenes Werk in Bátonyterenye von der ungarischen Regierung 2,8 Milliarden Forint (7 Millionen Euro) an Subventionen erhalten. Wegen Verstöße gegen Gesundheits- und Sicherheitsvorgaben musste das Unternehmen insgesamt 31 Millionen Forint (77.500 Euro) Strafe bezahlen. 2022 erzielte es in Ungarn einen Umsatz von 18,5 Milliarden Forint (46,2 Millionen Euro) und einen Gewinn von 1,6 Milliarden (4 Millionen Euro).
Protest in Sóskút: Das 3.800-Einwohner-Dorf stellt sich gegen Orbáns Plan, Ungarn zu einer Großmacht in der Batterieproduktion zu machen.
Protest in Sóskút: Das 3.800-Einwohner-Dorf stellt sich gegen Orbáns Plan, Ungarn zu einer Großmacht in der Batterieproduktion zu machen.
Protest in Sóskút: Das 3.800-Einwohner-Dorf stellt sich gegen Orbáns Plan, Ungarn zu einer Großmacht in der Batterieproduktion zu machen.
Bei Wideraufbereitungsanlagen von Batterien wird generell noch viel "experimentiert": "Es gibt aktuell noch keine allgemeine, nachhaltige Vorgehensweise beim Recyceln von Batterien. Deswegen besteht ein hohes Risiko für die Arbeitskräfte und die Umwelt. Und es sieht nicht danach aus, als hätte der Schutz dieser hohe Priorität in Ungarn", sagt Simon.
Billige Arbeitskräfte aus Ostasien
Neben den ausländischen Investitionen rühmt sich die ungarische Regierung mit der Vielzahl an Arbeitsplätzen, die durch die Förderung der Batterie-Produktion geschaffen würden: 9.000 allein durch das CATL-Werk in Debrecen, 3.000 dank BYD in Szeged. Geschätzt 30.000 Stellen sollen bis 2025 in der reinen Batterie-Produktion geschaffen werden, Vorproduktionsfelder und Weiterverarbeitung oder Recyclinganlagen nicht mitgezählt. Diese Arbeitsplätze sind jedoch im seltensten Fall für die ungarische Bevölkerung bestimmt: Für die Tätigkeiten werden extra Arbeitskräfte angeworben, vorwiegend aus ostasiatischen Ländern wie die Philippinen, Indonesien oder Vietnam.
Dabei ist Ministerpräsident Viktor Orbán allgemein bekannt für seinen migrationsfeindlichen Kurs. Die Arbeitslosenquote in Ungarn ist gering, das Land kämpft mit Abwanderung. Einem Gesetz zufolge sollen heuer 65.000 Nicht-EU-Gastarbeiter angeworben werden. Medienberichten zufolge sind bereits 120.000 im Land.
"Diese Gastarbeiter wissen wohl kaum Bescheid über ihre Rechte, könnten sich daher auch nicht beschweren, wenn Gesundheits- und Sicherheitsvorkehrungen nicht befolgt werden", mutmaßt Simon.
Ein Oppositionspolitiker fasst gegenüber dem KURIER zusammen: "Was können wir den Konzernen bieten? Wir verfügen weder über genug Wasser, Energie oder Arbeitskräfte. Aber Orbán hat was anderes: Korruption."
Generell gibt es noch wenig Erfahrung und Expertise, was das großflächige Recyceln von Batterien angeht. Das macht den Prozess sehr risikoreich. Sowohl die Produktion, noch mehr aber die Wiederaufbereitung gelten als sehr wasserintensiv. Greenpeace Ungarn zufolge könnte der Wasserverbrauch des Industrieparks der Batteriefabrik in Debrecen bis zu 60.000 Kubikmeter pro Tag betragen. Das ist mehr als der Wasserverbrauch der gesamten Stadt (wie viel Wasser davon wieder gesäubert werden kann, ist nicht bekannt). Auch die Abwasserbehandlungskapazität der Stadt würde überschritten. Für die Produktion würden pro Jahr 4.150 Gigawatt Strom benötigt, gut ein Viertel der Jahresproduktion des Kernkraftwerks Paks, heißt es.
Die Firma, die die Fabrik in Sóskút plant, widerspricht alldem. Man werde keine ausländischen Arbeiter einstellen, und die EU-Umweltstandards halte man penibel ein – "wie auch an den 30 anderen Standorten in Europa", heißt es von Andrada. Eine "zivile Kontrollgruppe" soll Zugang zu allen Daten bekommen.
Reinhard Sailer und seine Protestbewegung in Sóskút planen aktuell einen landesweiten Protesttag, um die Gefahren der Batterie-Fabriken und -Recyclinganlagen in Ungarn aufzuzeigen. Unterstützung bekommen sie von Oppositionsparteien und unabhängigen Abgeordneten. Ihr Antrag auf eine Volksabstimmung zur Andrada-Anlage wurde in letzter Sekunde angegriffen und wird derzeit von einem Gericht geprüft. Die Bewegung überlegt mittlerweile, bei den Lokalwahlen Anfang Juni zu kandidieren. Aufgeben kommt jedenfalls nicht infrage.
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