Die Corona-Pandemie hat die Welt weiter fest im Griff. Zu den Leidtragenden gehören Hunderte Millionen Kinder, denen wegen Schulschließungen im Kampf gegen das Coronavirus normaler Schulbesuch verwehrt bleibt. Für sie ergriff UN-Generalsekretär Antonio Guterres am Dienstag das Wort und mahnte alle Länder, alles dafür zu tun, damit Schüler wieder in die Schulen gehen können. „Wir stehen vor einer Katastrophe für eine ganze Generation, durch die unermessliches menschliches Potenzial verschwendet, jahrzehntelanger Fortschritt untergraben und tief verwurzelte Ungleichheiten verschärft werden könnten“, sagte Guterres.
Gleiche Regeln wie für Wirtschaft
Von einer verlorenen Generation wolle sie zwar nicht sprechen, sagt Christiane Spiel, Bildungspsychologin an der Universität Wien, „aber ich halte die Öffnung der Schulen für Kinder und die gesamte Gesellschaft für äußerst wichtig. Man muss alles dafür tun, um die Schule offen zu halten. Wenn das in Wirtschaftsunternehmen möglich ist mit Kontakt-Tracing und Testungen, dann muss das in Schulen auch möglich sein.“
In der Schule gehe es ja nicht nur um den reinen Wissenserwerb, sondern auch um psychologische und soziale Aspekte, sagt Spiel. Selbstbewusstsein und die Bestätigung, Kompetenz zu besitzen, gehörten ebenfalls dazu wie das soziale Lernen – Lernen mit Freunden und durch Freunde.
Wie sehr den Kindern und Jugendlichen das in der Zeit der Schulschließungen hierzulande gefehlt hat, das zeigt die dreistufige Studie „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“, die von Spiel und Kollegen durchgeführt wurde. Ende Juni, als alle Schulen wieder offen waren, gaben dabei 55,4 Prozent der Kinder an, sich im Vergleich zur Home-Learning-Zeit besser oder etwas besser zu fühlen. Der Kontakt zu ihnen wichtigen Personen habe sich zu 53,9 Prozent verbessert oder etwas verbessert. Vermutlich wäre der Prozentsatz noch höher, wenn auch Kinder an der Online-Befragung teilgenommen hätten, die keinen Zugang zu einem Computer oder Smartphone haben.
Die Kids, die im Juni an der Erhebung teilnahmen, machten sich da bereits viele Gedanken über mögliche weitere Infektionswellen im Herbst und wie dann ihr Schulalltag ablaufen wird.
10 Infekte im Jahr normal
Diese Gedanken machen sich viele – auch Volker Strenger von der Universitätsklinik für Kinder und Jugendheilkunde in Graz. Denn eines sei klar: "Jedes Kind wird im Winter mehrmals die Kriterien für einen Verdachtsfall erfüllen, weil es hustet oder Fieber hat. Wenn wir bei jedem Fall eine Klasse zusperren, dann kommt das durch die Häufigkeit von Kindern mit diesen Symptomen de facto einer Schulschließung gleich“, sagt der Kinderarzt. „Denn jedes Kind hat bis zu zehn Infekte im Jahr, häufig eine Atemwegsinfektion. Die große Herausforderung wird sein, diese von einer Coronavirus-Infektion zu unterscheiden. Dafür brauchen wir flächendeckend schnell und leicht zugängliche Tests“, betont der Arzt.
„Kinder sind jedenfalls keine ,Superspreader’, wie man zu Beginn der Pandemie angenommen hat. Das belegen viele Studien.“ Bei allen bisher in Graz an der Kinderklinik getesteten Verdachtsfällen waren mehr als 99 Prozent negativ. „Schulen sind aus vielerlei Gründen für die Kinder enorm wichtig, das darf man nie vergessen.“
In die Kerbe schlägt auch Birgit Schatz von SOS-Kinderdorf. „Der Lockdown hat für viele Kinder große negative Auswirkungen gehabt – nicht nur vom Lernen her, sondern auch psychisch und körperlich. Wir werden die Folgen noch zu spüren bekommen.“ Die Interessen und Rechte der Kinder seien nicht ausreichend vertreten worden – allen voran das Recht auf Bildung und das Recht auf Spiel und Freizeit. „Kinder brauchen mindestens so viel Aufmerksamkeit wie einzelne Wirtschaftssektionen“, betont Schatz ebenso wie Spiel.
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