Ukraine zieht Neutralität in Erwägung
Alarmsirenen in vielen Zentren, Durchbruchversuche der russischen Streitkräfte in Städten, die laut Kiew allesamt zurückgeschlagen wurden: So verlief Tag 14 der russischen Invasion in der Ukraine.
Dazu kamen erneut Bombenangriffe; in der schwer umkämpften Hafenstadt Mariupol wurde laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij sogar eine Geburtsklinik beschossen. „Angriff auf die Entbindungsstation. Menschen, Kinder sind unter den Trümmern“, schrieb der Staatschef auf Twitter.
Evakuierungen
Anderswo schien eine vereinbarte Waffenruhe zu halten: Ukrainische Medien veröffentlichten Bilder aus Irpin bei Kiew, die zeigten, wie alte und kranke Menschen auf Tragen in Sicherheit gebracht wurden. Auf einem Foto war eine alte Frau auf einer Schubkarre sitzend zu sehen. In Worsel nahe der Hauptstadt evakuierten Einsatzkräfte ein Kinderheim.
In der Stadt Sumy im Nordosten des Landes trafen zu Mittag Busse ein. Im südlicher gelegenen Isjum nahe Charkiw fuhren derweil die ersten Fahrzeuge mit Zivilisten ab. Die Ukraine hatte in der Früh in Abstimmung mit der russischen Seite von Fluchtrouten aus insgesamt sechs Städten gesprochen.
Auch auf diplomatischer Ebene tut sich etwas: Heute, Donnerstag, sollen sich der russische Außenminister Sergej Lawrow und dessen ukrainisches Pendant Dmitro Kuleba im türkischen Antalya treffen.
Geringe Erwartungen
Ein Termin, an den der ukrainische Außenminister selbst keine hohen Erwartungen hat: „Aber wir werden fraglos maximalen Druck ausüben. Unsere Interessen sind die Einstellung des Feuers, die Befreiung unserer Gebiete und als dritter Punkt die bedingungslose Lösung aller humanitären Probleme, der
Katastrophen, die von der russischen Armee geschaffen wurden“, sagte er. Eine mögliche Neutralität schließt die ukrainische Regierung nicht mehr aus – allerdings nur mit „strikten Garantien, damit eine solche Situation nie wieder eintreten kann“, wie es aus Kiew heißt.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gab sich abwartend bis optimistisch: „Lassen Sie uns nicht vorgreifen. Lassen Sie uns das Treffen selbst abwarten“, sagte er.
Die Zeit spielt für die Russen, die trotz aller Waffenlieferungen des Westens, entschlossener ukrainischer Soldaten und logistischer Probleme zweifellos überlegen sind: Zwar stoßen die russischen Streitkräfte in Städten wie Kiew und Charkiw weiterhin auf erbitterten Widerstand, allerdings ist anzunehmen, dass das russische Bombardement nach erfolgten Evakuierungen noch härter wird als je zuvor. Ein Teil der Bevölkerung wird bleiben, die Städte verteidigen. Und noch stehen der russischen Armee einige Eskalationsstufen zur Verfügung.
Angriffe auf Nachschub
Gleichzeitig verüben ukrainische Spezialeinsatzkräfte immer wieder erfolgreiche Attacken auf die russischen Nachschubwege, wodurch sie den Vormarsch der Armee zwar be-, aber nicht verhindern werden.
Und vor allem in den ländlichen Gebieten erzielen die russischen Streitkräfte Geländegewinne: Im Norden der Ukraine rücken russische Verbände von Osten kommend immer näher an den Dnjpr heran, im Süden drohen sie, einen nicht unwesentlichen Teil der ukrainischen Armee einzukesseln, ihr den Rückzugsweg abzuschneiden – und sie zu vernichten.
Breiter Vorstoß
Eine wichtige Bedeutung kommt hierbei der Stadt Dnipro zu: Stoßen russische Einheiten von der Krim und von Charkiw aus bis zur Millionenstadt vor, ist den ukrainischen Streitkräften eine bedeutsame Ausweichroute versperrt.
Militäranalysten gehen davon aus, dass es ein Ziel Moskaus ist, bis zu einem etwaigen Waffenstillstand zumindest alle wichtigen Übergänge des Dnjpr zu besetzten, wenn nicht gar alle Gebiete östlich des Flusses einzunehmen. Eine weitere Front tut sich westlich des Flusses auf, wo russische Verbände gen Norden in Richtung Kiew vorrücken.
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