„Bei 10 zu 1 zu unseren Gunsten machen wir weiter, bei 1 zu 1 ziehen wir uns zurück“, sagte etwa unlängst ein ukrainischer Offizier der deutschen Bild-Zeitung. Sprich: Reichte die Zeit nicht aus, gewonnenes Gelände ausreichend zu befestigen oder haben sich die Parameter zu Ungunsten verschoben, will man sich ab jetzt zurückziehen. Dies könnte etwa bald in der umkämpften Stadt Awdijiwka der Fall sein. Zwar verlieren die russischen Streitkräfte dort etwa 200 Kampffahrzeuge und Tausende Soldaten im Monat, aber auch auf ukrainischer Seite dürften die Verluste hoch liegen. Und die russischen Streitkräfte drohen mit Einkesselung.
Hoffnung auf Elektronische Kampfführung
„Für die Ukraine ist 2024 ein erfolgreiches Jahr, wenn sie die Frontlinien in etwa halten kann“, ist die Meinung vieler Analysten. Das liege einerseits an der schwächer werdenden Unterstützung seitens der westlichen Verbündeten Kiews, andererseits an der Möglichkeit Russlands, Verluste rascher auszugleichen als jene der Ukraine.
➤ Keine Zeit zu reagieren: Wie die Drohnen den Krieg verändern
Hoffnungen setzt Kiew darauf, rascher eine Antwort auf die Drohnen-Bedrohung finden zu können als Russland. Dabei geht es nicht nur um die FPV-Drohnen, die zu Hunderten durch das Schlachtfeld fliegen und mitsamt ihrer tödlichen Last an Zielen – vom Soldaten bis zum Panzer – explodieren. Auch die Bodendrohnen werden effektiver: Ferngesteuerte Maschinengewehre auf kleinen Panzerketten, Sprengsätze an ferngesteuerten Kleinfahrzeugen – jede Seite tüftelt massiv daran, die relative Pattsituation durch solche verhältnismäßig günstigen Waffen zu ihren Gunsten zu ändern.
Denn Verhandlungen dürften erst beginnen, wenn eine Seite sich als nicht mehr in der Lage sieht, ihre Ziele zu erreichen. Erst am Dienstag meinte US-Präsident Wladimir Putin, er sei zu Verhandlungen bereit, wenn „die Ukraine entnazifiziert sei“, was nichts anderes bedeutet als das Ende der gesamten Regierung in Kiew, welche er regelmäßig als Nationalsozialisten bezeichnet. Eine andere bekannte Forderung ist, die gesamten Oblaste Donezk, Lugansk, Saporischja und Cherson zu annektieren. Für Kiew ist es ein Ding der Unmöglichkeit, diese Forderungen zu erfüllen: Der Oblast Cherson liegt etwa auch westlich des Dnipro – und das ist nur einer von vielen Gründen, warum Kiew solchen Verhandlungen nicht zustimmen kann.
Russland dürfte indes im Winter seine Stellungen weiterhin verstärken, während es derzeit keine großen Indizien gibt, dass das ukrainische Arsenal so massiv verstärkt wird, dass eine großangelegte Offensive möglich ist. Vor allem würde sie mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ohne Luftüberlegenheit beginnen – zeitgleich müsste man an jedem Punkt der Front mit hohen Verlusten rechnen. Die beste Möglichkeit für die ukrainischen Streitkräfte bleibt weiterhin, in der elektronischen Kampfführung so stark zuzulegen, dass russische Drohnen einen bedeutenden Nachteil haben. Doch auch hier konnten die Russen ihnen entstandene Nachteile rasch ausgleichen.
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