Neue Offensive im Frühjahr? Auf Kiew kommen drei große Probleme zu

Ein Paket im Wert von 1,3 Milliarden Euro sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius der Ukraine bei einem Blitzbesuch am Dienstag zu - bis 2025 soll das Land über zwölf IRIS-T-Flugabwehrsysteme verfügen.
Und auch künftig, so ist es zumindest geplant, soll die militärische Unterstützung Kiews durch Berlin gesteigert werden: Acht statt vier Milliarden Euro soll die deutsche Militärhilfe im „Einzelplan 60“ für die Ukraine im kommenden Jahr betragen – der finale Beschluss steht allerdings noch aus.
Schwindende US-Hilfen
Bis dahin dürften im Schatten der Haushaltssperre noch heftige Diskussionen über den gesamten deutschen Haushalt stattfinden, doch grundsätzlich ist anzunehmen, dass diese Verdoppelung der Militärhilfen den deutschen Bundestag passiert. Allerdings wirft die derzeitige Situation in der Bundesrepublik Zweifel darüber auf, wie stabil die militärische Unterstützung der Ukraine durch Berlin in Zukunft sein wird. Diese Zweifel kommen für Kiew zur Unzeit – beginnen doch die Militärhilfen aus den USA zu schwinden.
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Ein Paket im Wert von 100 Millionen Dollar präsentierte Washington am Montag – allerdings dürfte damit das aktuelle Hilfspaket erschöpft sein. Und ob es angesichts des bald beginnenden US-Wahlkampfs und der Ablehnung des US-Kongresses zu weiteren großen Paketen kommen wird, ist mehr als nur fraglich. Dazu kommt, dass die EU vergangene Woche eingestehen musste, nicht in der Lage zu sein, die eine Million Artilleriegranaten liefern zu können, die im Frühjahr angekündigt worden waren.
Auf die Ukraine kommen damit noch härtere Zeiten zu: Einerseits ist damit zu rechnen, dass Russland angesichts des nahenden Winters abermals versuchen wird, die zivile Infrastruktur des Landes durch Raketen- und Drohnenangriffe lahmzulegen. Andererseits sind die russischen Streitkräfte bereits jetzt im Begriff, den Druck auf viele Frontbereiche zu erhöhen. Für die ukrainischen Streitkräfte bedeutet das Ausbleiben weiterer größerer Hilfen, die eigenen Stellungen an der 1.200-Kilometer-Front so gut wie möglich zu halten – und das wahrscheinlich mit Sparauflagen bezüglich Munition. Gerade im Abnützungskrieg, der seit Frühjahr 2022 tobt, eine fatale Situation. Denn im Gegenzug zur Ukraine verfügt Russland über einen stabilen Artilleriegranatennachschub.
Zwei Millionen Stück pro Jahr
Etwa zwei Millionen Stück dürfte Russland pro Jahr produzieren können, dazu kommen wahrscheinliche Lieferungen aus Nordkorea. Auch der ukrainische Generalstabschef Walerij Saluschnyj warnte vor wenigen Wochen davor, dass die Kämpfe in einem Patt, in einen kräfteraubenden Stellungskrieg münden könnten, der an den Ersten Weltkrieg erinnere – endloser Kampf, viel Beschuss und noch mehr Tote, aber kaum Bewegung an der Front.
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Bleibt die Frage, wie die ukrainischen Streitkräfte dies ändern können. Denn auf Kiew kommen drei große Probleme zu:
Die russischen Verteidigungsstellungen
Das benötigte Material
Das benötigte Personal
Sollte Kiew eine erneute Offensive für das kommende Frühjahr planen, stellt sich einerseits das Problem, wo man am erfolgreichsten Gelände gewinnen könnte – und was besser funktionieren könnte als bei der Gegenoffensive im Sommer. Russland dürfte seine Stellungen weiterhin verstärken, während es derzeit keine großen Indizien gibt, dass das ukrainische Arsenal so massiv verstärkt wird, dass eine großangelegte Offensive möglich ist. Im Paket, das Pistorius am Dienstag präsentierte, sind vor allem Defensivsysteme enthalten. Eine Ausnahme sind etwa 20.000 Schuss Artillerie. Das entspricht etwa fünf Tagen Feuerkampf unter den aktuellen Bedingungen.
Auch die benötigte Luftüberlegenheit dürfte sich so rasch nicht einstellen. Und selbst wenn die ersten F-16-Kampfjets bereit sein sollten, bedeutet das noch lange nicht, dass man damit automatisch den Himmel beherrscht. Die Bedrohung durch russische Drohnen kann nur durch starke elektronische Kriegsführung sowie Unterstützung durch Flugabwehrkanonen halbwegs gebannt werden. In beiden Bereichen haben die russischen Streitkräfte stark aufgerüstet.
Nicht nur der Nachschub an Waffen und Munition, auch die Rekrutierung neuer Kräfte ist für Kiew ein ernstes Problem: „Die Langwierigkeit des Krieges, die begrenzten Möglichkeiten für die Rotation der Soldaten an der Frontlinie und die Gesetzeslücken, die eine Mobilisierung rechtlich zu umgehen scheinen, verringern die Motivation der Bürger, beim Militär zu dienen, erheblich“, schrieb Saluschnyi in einem Essay (hier die englische Version).
Doch bevor neue Offensivpläne geschmiedet werden können, gilt es für die Ukraine, die russischen Angriffe im Winter zu überstehen - und auf weitere größere Unterstützung aus dem Westen zu hoffen.
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