Seit zwei Jahren ist Vasyl Khymynets ukrainischer Botschafter in Wien, seither ist er fast pausenlos im Einsatz für seine Sache. Im KURIER-Gespräch erklärt er, warum Österreich es ihm manchmal nicht leicht macht – und worauf die Ukraine sich vorbereitet.
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KURIER: Die Republikaner blockieren Gelder für die Ukraine, Israel braucht US-Hilfe im Kampf gegen die Hamas. Fürchten Sie, dass aus den USA kein Geld mehr kommt?
Vasyl Khymynets: Nein, das glaube ich nicht, wir fürchten uns auch nicht davor. Präsident Selenskij hat neulich in Washington sehr produktive Gespräche mit Vertretern beider Parteien geführt. Die Debatte in den USA ist durch innenpolitische Faktoren geprägt, aber auch dort weiß man, dass sich die Sicherheitsarchitektur Europas und der Welt in der Ukraine entscheidet. Dass Politiker mit dem Thema Ukraine manipulieren, ist für uns aber ein Weckruf: Wir müssen weiterhin aktiv kommunizieren, welch Gefahr für die demokratische Welt von Russland ausgeht.
Eine reale Gefahr ist, dass der nächste Präsident Donald Trump heißt. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Wir arbeiten daran, weniger von westlicher Hilfe abhängig zu werden. Das ist die wichtigste Lehre aus diesem Krieg: Wir müssen alles nutzen, um autark zu werden und Waffen selbst zu produzieren. Wir wissen wie keine andere Nation, wie gefährlich unser Nachbar ist – und dass die Sicherheit in Europa immer in Gefahr bleiben wird, solange es dieses Regime gibt.
Die Ukraine kooperiert bereits mit westlichen Waffenfirmen. Aber es dauert Jahre, bis Rheinmetall seine Panzerfabrik dort eröffnet. Wie übersteht das Land den Winter, wenn Polen oder die Slowakei bei Waffen auf die Bremse treten?
Erstens müssen wir uns dabei immer die Frage stellen, wer profitiert, wenn bei militärischer Hilfe für die Ukraine auf die Bremse getreten wird – Europas Demokratien sicher nicht. Militärhilfe ist daher eine Investition in Sicherheit und Frieden in Europa. Zweitens ist es ja nicht so, dass ab morgen gar keine Hilfe mehr kommt. Wir brauchen für den Winter Luftabwehrsysteme für die kritische Infrastruktur, und diese Hilfe kommt auch. Damit sind wir besser vorbereitet als vergangenes Jahr. Aber auch dieser Winter wird eine Zeit der Bewährung für uns. Das Problem ist eher, dass der Westen seine Waffenproduktion zum Selbstschutz hochfährt – für den Fall, dass Russland angreift. Aber: Wozu sich dafür rüsten, wenn Russland jetzt besiegt werden kann? Schafft es die Ukraine mit ihren Partnern, diesen Krieg gerecht zu beenden, wird Russland in dieser Form nicht mehr existieren, es wird auch Putins Ende sein. Aber wenn die Ukraine wieder nicht gehört wird, wenn die Debatte in Richtung Friedensschluss geht, spielt das Putin in die Hände. Er ist geschwächt, will Zeit schinden. Jede unterlassene Hilfe für die Ukraine – ob humanitär, finanziell und militärisch – ist eine Unterstützung für Putin.
Aber wäre jetzt, wo Moskau geschwächt ist, nicht der Moment zu verhandeln?
Über was? Und mit wem? Aus Moskau kommen ja nur Drohungen. Putin hat jede Glaubwürdigkeit verloren. Vor dem Krieg haben viele westliche Politiker versucht, mit ihm zu sprechen – erfolglos. Der Tod Prigoschins soll uns auch immer daran erinnern, was sein Wort wert ist. Putin hat viele internationale Vereinbarungen, darunter bilaterale Verträge mit der Ukraine, mit Füßen getreten. Er ist kein verlässlicher Partner – oder, um es klar zu sagen: Jede Unterschrift, die er unter einen Text setzt, ist das Papier nicht wert.
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In Österreich gibt es noch immer viele Politiker, die Verhandlungen das fordern. Letztens hat Ex-SPÖ- Klubchef Josef Cap im Fernsehen Präsident Selenskij zum Nachgeben aufgefordert.
Herr Cap sagt das nicht zum ersten Mal. Er sagt das stellvertretend für jene, die an Realitätsverlust leiden, und das spiegelt nur wider, welches Weltbild diese Politiker haben. Offenbar befürworten sie Putins Despotie, seine Willkür, seine Diktatur – wollen sie, dass sich das auch hier durchsetzt?
Kiew wünscht sich eine EU-Vollmitgliedschaft binnen zwei Jahren. Aus Brüssel und Wien kommt Ablehnung, man will eine partielle Integration. Gab es falsche Versprechungen?
Bleiben wir korrekt: Es geht nicht um den Beitritt oder den sofortigen Beitritt, sondern um den Beginn der Beitrittsverhandlungen. Da erwarten wir demnächst eine positive Empfehlung der EU-Kommission. Wie lange wir verhandeln, weiß ich nicht, aber sicher nicht nur einen Tag oder ein Jahr. Aber unsere Partner haben schon gesehen, dass die Ukraine viele Ziele schneller erreichen kann als erwartet.
Die Ukraine will die Präsidentschaftswahlen im Frühling verschieben. Außenminister Schallenberg drängt auf Durchführung. Können Sie sich das erklären?
Nein. In der Ukraine sind Wahlen seit Langem ein normaler Prozess, seit der Revolution 2004 gab es keine Probleme. Weder Selenskij, noch Regierung oder Opposition haben Angst davor, aber der Wahlprozess muss verfassungskonform sein, solange wir im Krieg sind. Eine faire Wahl braucht Wahlkampf und Beobachter aus dem Ausland. Wie soll das gehen im Krieg? Wer würde die Verantwortung übernehmen, wenn bei einer Versammlung eine Bombe einschlägt, wie es vor einer Woche während einer Trauerzeremonie im Dorf Hroza mit mehr als 50 Toten?
➤ Die brüchige Ukraine-Koalition
Wann muss in der Ukraine mit dem Wiederaufbau begonnen werden?
Am besten gestern. Es ist wichtig, dass Österreich plant, in welchen Bereichen und Orten man investieren will. Dänemark etwa hat den Oblast Mykolaiw gewählt, Estland will in Schitomir tätig werden. Frankreich will beim Wiederaufbau Mariupols helfen. Logisch wäre ein Engagement dort, wo die österreichische Wirtschaft stark ist, im Straßenbau, in der Infrastruktur. Die Ukraine hat enormes Interesse, dass Österreichs Wirtschaft Investitionsvorschläge macht – jetzt, nicht erst, wenn Finanzzusagen da sind. Der Skihersteller Fischer etwa produziert nach wie vor in der Westukraine, Marzek-Etiketten in Dnipro arbeitet sogar an einer Produktionserweiterung. Das ist die Botschaft, die wir brauchen.
Viele Firmen sagen, die Korruption schreckt sie ab.
Es gibt noch viel zu tun, aber wir sind auf einem guten Weg, und die Ergebnisse werden auch anerkannt. Wären wir von Korruption zerfressen, wie massiv behauptet wird, gäbe es unser Land nicht mehr: In den ersten Tagen des Krieges ist die Ukraine nicht kollabiert – die Währung war stabil, die Banken haben gearbeitet, die Regierung war da, selbst die Müllabfuhr hat funktioniert.
Braucht es für mehr Engagement nicht Haftungsübernahmen für Investitionen?
Ja. Die Regierung in Wien müsste Investitionen absichern, so wie andere Länder. Die jetzige Grenze von fünf Millionen Euro ist zu wenig. Ich verstehe, dass es für Österreichs Wirtschaft nicht einfach ist, weil man viel in Russland investiert hat. Aber es wäre höchste Zeit, diesen Markt zu verlassen: Die Wirtschaftskammer hat noch immer viel größeres Büro in Moskau, aber nur einen Vertreter in Kiew, das ist zu wenig. Und wer in Russland bleibt, zahlt Steuern – Geld, das in Putins Kriegskasse fließt.
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