Abwesenheiten
Selenskijs Problem: Die, die er bräuchte, sind nicht in New York – Chinas Präsident Xi Jinping zeigt demonstrativ, wie wenig ihn die UNO interessiert; aber auch Verbündete wie Rishi Sunak oder Emmanuel Macron haben offenbar anderes zu tun.
In der Generalversammlung selbst dominieren andere Themen, der Klimawandel etwa oder die Reform der UN-Strukturen, die anwesenden großen Player erwähnen die Ukraine deshalb oft nur am Rande. Bei UNO-Generalsekretär Antonio Guterres verkam der Krieg zu einer Fußnote, und US-Präsident Joe Biden erwähnt Russlands Invasion auch nur ganz am Schluss. „Russland glaubt, dass die Welt müde werden wird“, sagt er da.
Ein bisschen stimmt das auch. Selenskij wird das heute, Donnerstag, selbst spüren. Dann ist er im Weißen Haus und im Kongress eingeladen, im Repräsentantenhaus wird man ihn aber wohl nicht wie 2022 mit einer ukrainischen Flagge empfangen – dort haben jetzt die Republikaner die Mehrheit.
„Im Repräsentantenhaus gibt es derzeit kein Geld für die Ukraine“, sagt der republikanische Abgeordnete Byron Donalds in einem Interview. „Ehrlich gesagt ist es keine gute Zeit für Selenskij, hier zu sein.“ Die USA wählen im kommenden Jahr, und die Waffenhilfe für die Ukraine ist kein Wahlkampf-Hit, im Gegenteil. Dennoch wollte Biden Insidern zufolge am Mittwoch (vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe) „ein umfassendes Paket über Militärhilfe“ für die Ukraine bekannt geben.
Wenig Rückhalt
Dass der Rückhalt nicht mehr so stark ist wie vor einem Jahr, dürfte Selenskij durchaus bewusst sein. In Hintergrundgesprächen, berichtet der Spiegel, sagen seine Berater, sie seien hier, um „skeptische Länder zu überzeugen“. Davon gibt es vor allem im globalen Süden viele – besonders jene, die mit Russland in der BRICS-Allianz verbunden sind.
Brasiliens Präsident Lula etwa garantierte Wladimir Putin beim nächsten Gipfel gleich mal Straffreiheit und keine Verhaftung – etwas voreilig, denn danach musste er einräumen, dass dies Brasiliens Justiz entscheidet. Oder Indien, dass sich in einen regionalen Konflikt in Europa schlicht nicht einmischen will. Doch auch Polen zeigte sich am Mittwoch verärgert, zitierte wegen Selenskij den ukrainischen Botschafter ins Außenamt: Selenskij habe – so Polen – vor der UN-Vollversammlung angedeutet, dass einige EU-Länder Solidarität mit der Ukraine vortäuschten, aber indirekt Russland unterstützten.
Während diese Wogen geglättet werden dürften, wird der ukrainische Verteidigungskrieg gegen Russland weitergehen. Selenskij forderte genau darum die Reform der UN-Struktur. Allein, dass dieser Wunsch Wirklichkeit wird, ist höchst unwahrscheinlich: Seit Jahrzehnten wird über eine Reform diskutiert – freilich ohne Ergebnisse.
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