Kann Russland aus dem UN-Sicherheitsrat geworfen werden?
Bei seinem Video-Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat machte Wolodimir Selenskij am Dienstag kein Hehl daraus, was er vom wichtigsten Organ der Vereinten Nationen hält. „Es ist offensichtlich, dass die zentrale Institution zum Schutz von Frieden nicht effektiv arbeiten kann“, schmetterte der ukrainische Präsident den Vertretern des Gremiums entgegen.
Mit Verweis auf das Massaker von Butscha erneuerte Selenskij seine Forderung, Russland aus dem Sicherheitsrat auszuschließen. Das deshalb, weil es wegen seiner Stellung als UN-Vetomacht dort jeglichen Beschluss verhindern kann – auch mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine und andere Konflikte, an denen es beteiligt ist. Doch ist ein solcher Ausschluss möglich?
Insgesamt war Russland bzw. die Sowjetunion seit 1946 für fast die Hälfte der mittlerweile gut 260 Vetos im UN-Sicherheitsrat verantwortlich. Es verhinderte beispielsweise die Verurteilung des mit ihm verbündeten syrischen Regimes oder die Einrichtung eines UN-Tribunals nach dem Abschuss einer Passagiermaschine durch pro-russische Rebellen in der Ostukraine 2014.
Aber auch die USA nutzten die Möglichkeit eines Vetos oft, schützten etwa Israel im Konflikt mit den Palästinensern.
"Wahrung des Weltfriedens"
Insgesamt sind 15 UN-Staaten im Sicherheitsrat vertreten: die fünf ständigen Mitglieder Frankreich, Russland, Großbritannien, USA und China sowie zehn nicht-ständige Mitglieder, die für je zwei Jahre gewählt werden (derzeit Indien, Irland, Kenia, Mexiko, Norwegen, Albanien, Brasilien, Gabun, Ghana und Vereinigte Arabische Emirate; Österreich hatte dreimal einen Sitz, zuletzt 2009/10).
Gemäß UN-Charta ist der Sicherheitsrat „hauptverantwortlich für die Wahrung des Weltfriedens“. Er fasst als einziges UN-Organ bindende Beschlüsse für alle 193 UN-Mitgliedstaaten und kann deren Durchsetzung erzwingen, darunter unter bestimmten Bedingungen sogar militärische Zwangsmaßnahmen.
Dass die ständigen Mitglieder des Gremiums die anderen überstimmen können, ist historisch bedingt. Als der Sicherheitsrat nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 gegründet wurde, konnten die Siegermächte durchsetzen, dass sie dauerhaft im Sicherheitsrat vertreten sind und dessen Entscheidungen durch ihr Veto blockieren können.
"Gleicher als die anderen"
Laut dem Heidelberger UN-Experten Matthias Hartwig wurde zwar bei der Gründung der UNO 1945 die souveräne Gleichheit aller Staaten festgeschrieben. Bei der Gründung des Sicherheitsrats habe man dann aber Zugeständnisse an reale Machtverhältnisse machen müssen. "Fünf Staaten sind hier gleicher als die anderen", so Hartwig gegenüber dem KURIER.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Diskussionen über die „undemokratische“ Art der Beschlussfassung im Sicherheitsrat; und auch dessen Zusammensetzung ist umstritten. Sie sei anachronistisch, sagen viele Beobachter, da sie die Verhältnisse einer längst vergangenen Ära spiegelten. Kontinente wie Afrika oder Südamerika seien gar nicht vertreten, kritisiert auch Hartwig.
1965 gab es angesichts einer wachsenden Zahl von UN-Staaten (u.a. durch das Ende der Kolonialzeit) die bisher einzige Reform des Sicherheitsrats, indem die Zahl der nicht-ständigen Mitglieder von sechs auf zehn erhöht wurde. Bestrebungen Japans, Deutschlands, Indiens und Brasiliens ab den 1990er-Jahren, wegen ihrer wachsenden demographischen und wirtschaftlichen Bedeutung einen ständigen Sitz zu bekommen, verliefen ins Leere. Ebenso Forderungen, das Vetorecht zu streichen.
Kein Interesse, Macht zu teilen
Grund für das umfassende Scheitern ist – das Vetorecht. Jede Reform des Sicherheitsrats bedarf laut UN-Charta der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der UN-Mitgliedsstaaten in der Vollversammlung sowie einer Ratifizierung. Und sie bedarf der Zustimmung durch alle ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder – die kein Interesse daran haben, ihre Macht zu teilen.
Auch eine Suspendierung der UN-Mitgliedschaft Russlands sei undenkbar, so Hartwig. Diese müsse die Vollversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrats beschließen.
Sowjetunion statt Russland
Wie schwerfällig die Vereinten Nationen seien, zeige sich bei einer Lektüre der UN-Charta, sagt Experte Hartwig. In dieser wird Deutschland 77 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch als Feindstaat bezeichnet, statt Russland ist von der Sowjetunion die Rede.
Das nahm die Ukraine zuletzt zum Anlass, als sie ihre Forderung nach einem Ausschluss Russlands aus dem Sicherheitsrat damit begründete, dass dieses nicht der Rechtsnachfolger der Sowjetunion sei. Demnach hätte es 1991 nicht einfach dessen Platz im Sicherheitsrat einnehmen dürfen.
Für Hartwig ist das „an den Haaren herbeigezogen“. Damals sei vereinbart worden, dass Russland an die Stelle der Sowjetunion trete. Das hätten auch die anderen Nachfolgestaaten der UdSSR abgenickt.
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