Noch mehr Kriegsverbrechen: "Schlimmer als in Butscha“

Frische Gräber in Butscha, wo mindestens 330 zivile Todesopfer  entdeckt wurden
Auch im Kiewer Vorort Borodianka soll es zu Kriegsverbrechen durch russische Soldaten gekommen sein, die UN schicken Experten nach Butscha.

„Kinderspielzeug liegt überall auf der Straße verstreut – zu viel, um es zählen zu können. Ein Wohnblock ist von einer Explosion förmlich ausgehöhlt, eine verkohlte Matratze hängt unter freiem Himmel. Ein ausgebrannter Panzer ist in den Ruinen eines zerstörten Gebäudes geparkt.“

So beschreibt ein AFP-Reporter die Kleinstadt Borodianka, 47 Kilometer nordwestlich von Kiew. Obwohl die AFP auf ihrer kurzen Fahrt durch die Stadt keine Leichen sah, sagen die Einheimischen, dass viele ihrer Nachbarn hier ermordet worden seien.

Tausende Meldungen

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft verzeichnete nach eigenen Angaben mehr als 7.000 Meldungen über russische Kriegsverbrechen in der Region um die Hauptstadt.

Die meisten Opfer habe es nicht etwa in Butscha, von wo täglich neue, schockierende Berichte kommen, sondern eben in Borodianka gegeben: „Die Gräueltaten in Borodianka werden die in Butscha in den Schatten stellen. Was die Zahl der Opfer betrifft, so ist die Situation in Borodianka am schlimmsten. Da gibt es viel zu verarbeiten“, ließ die Staatsanwaltschaft verlauten.

In den Sozialen Medien sind grausige Fotos von Leichen – auch von Kindern – im Umlauf, die in Borodianka aufgenommen worden sein sollen. Die Authentizität dieser Bilder wird derzeit nachgeprüft.

Bereits die Bilder aus Butscha, wo nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche Leichen auf den Straßen gefunden wurden, hatten weltweit Entsetzen ausgelöst. Die Ukraine macht für das Massaker russische Truppen verantwortlich, die die Stadt besetzt hatten.

Moskau bestreitet das und sprach von einer „Inszenierung“. Der russische Außenminister Sergej Lawrow behauptete, es handele sich um eine Provokation ukrainischer Nationalisten. Beweise dafür legte er nicht vor. Lawrow warnte auch vor einer Sabotage der Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew für eine Ende der Kämpfe in der Ukraine. Russland werde sich nicht auf ein „Katz-und-Maus-Spiel“ einlassen.

Videos und Satellitenbilder aus Butscha widerlegen jedoch nach einer Analyse der New York Times Moskauer Behauptungen, dass Leichen getöteter Zivilisten dort erst nach dem Abzug des russischen Militärs platziert worden seien. Satellitenaufnahmen zeigten, dass sich Leichenteile mehrerer Menschen bereits Mitte März auf der Straße befanden, schrieb die Zeitung.

„Rechenschaft muss unvermeidbar sein“, empörte sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij vor dem UN-Sicherheitsrat, forderte den Ausschluss Russlands aus dem Gremium und setzte die russischen Taten mit jenen Adolf Eichmanns gleich: „Ich möchte die russischen Diplomaten daran erinnern, dass Eichmann nicht ungestraft davonkam“, sagte er. Russland hat im Sicherheitsrat ein Veto-Recht.

Die Vereinten Nationen werden das Massaker von eigenen Menschenrechtsexperten untersuchen lassen. Derzeit ist ein Team des UN-Büros mit etwa 50 Mitarbeitern in Uschgorod im Westen der Ukraine stationiert, etwa 800 Kilometer von Butscha entfernt. Ein Termin wurde noch nicht genannt.

Weitere Vorfälle

Die gemeldeten Vorfälle in der Region um die Hauptstadt Kiew sind nicht die einzigen mutmaßlichen Kriegsverbrechen, die seit der russischen Invasion begangen wurden: Russland wird unter anderem des mehrfachen Einsatzes von Streumunition auf zivile Gebäude beschuldigt. Doch auch die ukrainische Regierung untersucht ein mutmaßliches Kriegsverbrechen aus den eigenen Reihen: Ukrainische Kämpfer sollen russischen Kriegsgefangenen in die Beine geschossen haben.

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