Putin und der Krebs: Ein Gerücht als Polit-Waffe

Im Oktober feiert Wladimir Putin seinen 70. Geburtstag. In diesem Alter hatte Stalin bereits zwei Schlaganfälle hinter sich, Breschnew war tablettensüchtig und quasi-entmündigt, und Jelzin lag zu seinem 70er wieder einmal im Spital – da hatte er das Präsidentenamt krankheitsbedingt längst abgegeben.
Aber Putin? Der strotze nur so vor Gesundheit, sagen alle um ihn. Aleksandr Lukaschenko, Machthaber im befreundeten Belarus, nannte ihn kürzlich in einem Interview „lebendiger als alle Lebenden“; Putins Sprachrohr im TV, Wladimir Solowjew, sagte jetzt, er sei „eindeutig in ausgezeichneter Form.“ Wäre das nur gespielt, könnte er ja nirgend hingehen.
Dass Putin seit Jahren zumindest fünf Ärzte im Schlepptau haben soll, binnen vier Jahren ganze 166 Mal von einem Schilddrüsen-Onkologen untersucht worden sei, wie das russische Investigativportal Proekt jetzt enthüllte, passen zu dem Bild freilich nicht. Jetzt machen Gerüchte die Runde, dass der Kremlherrscher Krebs haben könnte. Was hat es damit auf sich?
Der Alphamann
Putins PR-Team macht seit Beginn seiner Amtszeit kaum etwas anderes, als ihn als stark, männlich und unverwundbar zu zeichnen. Es werden Videos im Umlauf gebracht, wo er als Eishockeycrack mit der Nationalmannschaft spielt, es gibt Dutzende Bilder, die ihn – gerne oberkörperfrei – reitend auf einem Pferd oder am Steuer eines ungewöhnlichen Fahrzeugs zeigen. Die Kehrseite dessen zeigt der Kreml natürlich nicht: Dass Putin, wie Proekt berichtet, 2012 einen schweren Reitunfall hatte und deshalb über lange Zeit heftig hinkte, wurde verschleiert, indem vorproduzierte Videos von ihm gezeigt wurden. So wurde vorgespielt, er sei im Amt, während er aber eigentlich in Behandlung war.
Jetzt ist die Lage ähnlich. Seit der Coronakrise hat Putin sich massiv aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, es gab Perioden – wie etwa im Herbst – da war er tagelang wie vom Erdboden verschluckt. Wieder machten vorproduzierte Aufnahmen die Runde. Der Grund dafür sei nicht nur die krankhafte Angst vor Ansteckung, wie es bisher hieß, sondern Krebs, wird jetzt kolportiert. Wegen der Krebsbehandlung habe er auch so gezögert, sich mit dem von ihm selbst propagierten Coronavakzin Sputnik impfen zu lassen.

Seit Jahren Gerüchte
Es ist nicht das erste Mal, dass es solche Gerüchte gibt. Der Politologe Walerij Solowej etwa spricht seit Jahren davon, dass Putin schwer erkrankt sei. Er wurde mittlerweile von seinem Führungsposten an der Moskauer Eliteuni MGIMO entlassen und gilt als diskreditiert. Auch die britische Yellow Press bringt immer wieder Spekulationen, dass Putin Steroide nehme, Parkinson habe, an Krebs erkrankt sei – unter Hinweis auf Geheimdienstquellen.
Wie Wahrheit darin steckt, ist schwer zu sagen. Das ist im politischen Diskurs auch unerheblich. Gerüchte, vor allem solche um die Gesundheit, dienen immer als politische Waffe, vor allem bei Autokraten. Das war schon beim späten Stalin so, über den das Zentralkomitee ohne Unterlass sagte, er sei unerschütterbar, während zeitgleich Berichte über seine Schlaganfälle vertuscht wurden.
Dass die Gerüchte just zu einem Zeitpunkt aufpoppen, an dem es ob des mäßigen Erfolgs der Russen in der Ukraine Unstimmigkeiten im inneren Zirkel gibt, wird also kein Zufall sein – alles, was den Kremlherrscher destabilisiert, ist seinen Opponenten nur recht. Dass Putins Sprecher Peskow das Gerücht auf Nachfrage kommentieren musste – er nannte es „Fiktion“ – ist ein kleiner Erfolg für seine Kritiker: So gelangte das Gerücht auch in Russland an die Öffentlichkeit – die Plattform Proekt ist in Russland nämlich verboten.
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