Dienstag, 6. Juni, 2:54 Uhr ukrainischer Zeit: Der Moment, als Seismologen der norwegischen Erdbebenwarte Norsar eine Explosion eine Explosion beim Kachowka-Damm im Oblast Cherson registriert haben wollen. Der Damm brach, eine Überflutung und gleichzeitig eine massive Umweltkatastrophe waren die Folge.
➤ Welche Umweltkatastrophen der Ukraine nach dem Dammbruch drohen
Noch immer sinkt der Wasserstand im Stausee weiter. Seit dem Bruch am Dienstag sei der Stand um fast fünf Meter auf 11,7 Meter Stand Freitagfrüh gesunken, teilte der staatliche Wasserkraftwerksbetreiber Ukrhydroenergo mit.
Das Staatsunternehmen wies auch darauf hin, dass die bisher nicht komplett eingestürzte Staumauer weiter berste. Ziel sei es nun, in den oberhalb der Kachowka-Station gelegenen Stauseen das Wasser des Dnipro zu stauen, um Reserven für den Sommer zu haben.
Nach wie vor werfen Kiew und Moskau einander vor, für den Bruch des Damms verantwortlich zu sein. Ein Überblick über die jeweiligen Positionen:
Was für eine russische Täterschaft spricht:
- Seit der Befreiung der Stadt Chersons fürchtet Moskau, dass ukrainische Truppen im Zuge der Gegenoffensive amphibische Landungen über den Dnipro durchführen könnte. Mit der Zerstörung des Damms und der Überflutung Hunderter Quadratkilometer ist dieses Risiko de facto gebannt. Minen, die von beiden Seiten gelegt wurden, stellen eine weitere Gefahr dar, den Fluss zu überqueren, beziehungsweise, in diesem Bereich Truppen zu sammeln.
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- Der Kachowka-Damm ist seit mehr als einem Jahr unter russischer Kontrolle. Bereits im Herbst verminten die russischen Streitkräfte den Übergang. Dass der Damm wenige Stunden nach Beginn der ukrainischen Gegenoffensive bricht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Zufall.
- Der in der Sowjetzeit gebaute Damm verfügt über spezielle Schächte für die Anbringung von Sprengladungen, um ihn im Ernstfall zu sprengen.
Was gegen eine russische Täterschaft spricht:
- Die Auswirkungen des Dammbruchs beschädigen vor allem das russisch besetzte Territorium. 32 Ortschaften und mehr als 3.600 Häuser stehen laut russischen Behörden unter Wasser.
- Durch den Dammbruch wird die Wasserversorgung auf der Halbinsel Krim wieder schwierig. Bereits von 2014 bis zu Beginn des russischen Angriffskriegs hatte Kiew die Wasserzufuhr über den Krim-Kanal unterbrochen. In den acht Jahren ohne Dnipro-Wasser gingen die landwirtschaftlichen Nutzflächen auf der Krim ums Zehnfache zurück.
Was für eine ukrainische Täterschaft spricht:
- Geht man vom flächenmäßigen Schaden für das Gebiet aus, trifft das Hochwasser die russisch besetzte Seite stärker. Ukrainische Soldaten berichteten etwa CNN von russischen Kämpfern, die durch den Dammbruch überrascht und „weggespült“ worden seien.
- In den vergangenen Monaten, aber vor allem vor der Befreiung Chersons fanden in der Nähe des Damms häufig Artillerieduelle statt
Was gegen eine ukrainische Täterschaft spricht
- Artillerie allein reicht laut Experten nicht aus, den Damm zu beschädigen. Es hätte schon ein Sondereinsatzkommando zum Damm tauchen und dort große Mengen an Sprengstoff anbringen müssen. All das unbemerkt von den russischen Streitkräften, die den Damm seit Beginn der Invasion kontrollieren.
- Kiew hätte sich damit ein mögliches Überraschungsmoment genommen. Schon allein durch die theoretische Möglichkeit einer amphibischen Operation ukrainischer Streitkräfte wären russische Soldaten am Dnipro-Ufer gebunden gewesen.
Technisches Gebrechen?
Der Staudamm wurde immer wieder von Artillerieschlägen getroffen, erlitt im Laufe des Krieges Schäden. Grundsätzlich gelten Dämme dieses Typs aber als sehr stabil.
Die Schuldfrage bei Sabotageakten taucht im Ukraine-Krieg immer wieder auf – erst kürzlich berichtete die Washington Post, dass den USA drei Monate vor dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines detaillierte ukrainische Pläne für einen Angriff auf die Erdgasleitungen vorgelegen seien. Einzelheiten für einen Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines seien durch einen europäischen Geheimdienst zusammengetragen worden.
Im Juni vergangenen Jahres habe der US-Geheimdienst Informationen darüber erhalten, dass ein sechsköpfiges Team ukrainischer Spezialeinheiten beabsichtige, die Pipeline bei einem Taucheinsatz in die Luft zu jagen.
Damit ist die Urheberschaft des Pipeline-Anschlags noch nicht geklärt, doch wie beim Damm gibt es für beide Seiten schlagende Argumente – und Gegenargumente.
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