Wenn die Berechnungen der Ärzte über die Inkubationszeit bei Corona noch stimmen, wird sich rund um den amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli erweisen, ob sich Donald Trump am heutigen Samstag ein Eigentor für die Geschichtsbücher geschossen hat – eines mit tödlichen Begleiterscheinungen.
Denn gegen den Rat seiner eigenen Seuchen-Experten um Anthony Fauci und gegen die erklärte Bitte der örtlichen Verantwortlichen wird Amerikas Präsident in der BOK-Arena von Tulsa im Bundesstaat Oklahoma nach über dreimonatiger Wahlkampf-Abstinenz Zehntausende Anhänger Schulter an Schulter zu einer ersten Großkundgebung versammeln. Ohne Maskenschutz vorzuschreiben. Ohne Abstandsregeln zu verhängen.
Trump droht
Dafür hatte Trump schon im Vorfeld eine Botschaft für die möglicherweise anreisenden Gegen-Demonstranten bereit: „Alle Anarchisten, Unruhestifter, Plünderer oder Gesindel, die nach Oklahoma kommen, bitte begreift, dass ihr nicht wie in New York, Seattle oder Minneapolis behandelt werdet“, schrieb der US-Präsident am Freitag auf Twitter. Um Tumulte oder Gewalt zu verhindern, verhängte der Bürgermeister eine Ausgangssperre.
Die zum Teil seit Mittwoch vor der Mehrzweckhalle biwakierenden Fans müssen wie alle Teilnehmer eine Verzichtserklärung unterschreiben, dass sie gegen Trumps Wiederwahl-Kampagne nicht in Regress gehen, falls sie sich das Virus einfangen. Trumps Leute nennen das „Eigenverantwortung“ und „überschaubares Risiko“. Kritiker, selbst solche, die ihm politisch nahestehen, nennen es in US-Medien „unnötig“ und „rücksichtslos“.
Dass ein Großhallen-Event, bei dem Schwitzen und Körperkontakt programmiert sind, in Corona-Zeiten wie eine Petrischale für Neuinfektionen wirken kann, steht für Bruce Dart, Chef des Gesundheitsamtes in Tulsa, fest. Er spricht von einem „Superspreader-Event“.
Im Umfrage-Tief
Warum macht das der Präsident eines Landes, in dem bei mehr als zwei Millionen Menschen das Virus entdeckt wurde und in dem nach neuen Berechnungen der staatlichen Seuchenschutzbehörde CDC bis Mitte Juli – weltweit ohne Beispiel – knapp 135.000 Menschen gestorben sein werden? Warum zu einer Zeit, in der in mehr als 20 Bundesstaaten die Infektionszahlen im Gefolge von behördlichen Lockerungen in den vergangenen Tagen teilweise um 100 Prozent gestiegen sind und manche Regionen bereits Engpässe bei Krankenhausbetten melden?
Antwort: 3. November. In weniger als 140 Tagen will der zuletzt resignativ wirkende Amtsinhaber vermeiden, was als Gefahr für ihn noch nie so virulent war wie heute – seine Abwahl. Donald Trump ist in allen seriösen Umfragen dramatisch abgesackt. Sein sprunghaftes Krisen-Management der Coronavirus-Krise, die epochale Arbeitslosigkeit von mehr als 30 Millionen, die unversöhnliche Kommentierung der Anti-Rassismus-Proteste nach tödlichen Polizei-Auswüchsen gegen Schwarze – all das hat seinen Widersacher Joe Biden um bis zu 14 Prozentpunkte Vorsprung davonziehen lassen. Dabei tut der 77-jährige Demokrat nicht viel mehr, als konstant staatsmännisch emphatisch zu sein und Fehler zu vermeiden.
Viele "Baustellen" für Trump
Besonders alarmierend für Trump: In Bundesstaaten, auf die es ankommt (Arizona, Wisconsin, Pennsylvania, Michigan etc.) laufen dem Präsidenten gerade Frauen und ältere Männer davon. Dazu kommen Skandal-Enthüllungsbücher über ihn, juristische Ohrfeigen des Obersten Gerichtshofes und Zensur-Maßnahmen seiner großen Internet-Megafone Twitter und Facebook.
Aus dieser Negativspirale will Donald Trump am Samstag mit Jubelbildern und frenetischen Anfeuerungsrufen seiner Anhänger für zwei, drei Stunden ausbrechen. Die Rechnung wird – siehe oben – in 14 Tagen präsentiert.
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