Auch darum versucht Trump, der allein im vergangenen Jahr aus den Schatullen seiner Unterstützer-Vereine 50 Millionen Dollar für Anwaltskosten ausgab, die in New York, Washington DC und Florida spielenden Verfahren zu verzögern; am besten über den Wahltermin am 5.11. hinaus. Sein Kalkül: Im Falle eines Sieges gegen Amtsinhaber Joe Biden könnte Trump seinen Justizminister anweisen, alle Prozesse auf Bundesebene einzustellen.
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Neun Monate vor der Wahl zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten verdichten sich die Anzeichen, dass Trump auf diese Last-Minute-Selbstrettung gar nicht mehr angewiesen sein könnte. Denn Justizias Mühlen arbeiten so sehr im Schneckentempo, dass aus Expertensicht auch nur eine relevante Verurteilung, die den Wählerwillen massiv beeinflussen könnte, immer unwahrscheinlicher wird.
Sex-Prozess
Von der negativen Einschätzung sind die beiden Zivilverfahren - der Sex-Verleumdungsprozess gegen E. Jean Carroll und das Betrugsverfahren gegen Trumps Immobilien-Konzern - ausgenommen. Hier geht alles seinen Gang. Auf Trump laufen Entschädigungszahlungen von potenziell rund 500 Millionen Dollar zu. Spätestens bis Mitte Februar will Richter Arthur Engoron für Klarheit sorgen.
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Dagegen kommen die drei Großverfahren, wo es um den Diebstahl von hoch sensiblen Staatsgeheimnissen geht und die versuchte nachträgliche Korrektur der Wahl 2020 samt Putschversuch, nicht vom Fleck.
So sollte am 4. März, einen Tag vor „Super Tuesday”, wenn 15 Bundesstaaten gleichzeitig zur Vorwahl schreiten, in Washington der von Chef-Ankläger Jack Smith angestrengte Prozess wegen Trumps Beteiligung am blutigen Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 und eine ihm unterstellte Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten beginnen. Alles Makulatur. Richterin Tanya Chutkan hat den Gerichtskalender am Freitag radikal überarbeiten lassen. Der Prozess ist auf unbestimmte Zeit vertagt. Der Grund: Die von Trump aufgebrachte und von Chutkan abschlägig beschiedene Frage, ob er auch als Ex-Präsident komplette juristische Immunität genießt, bleibt letztinstanzlich weiter unbeantwortet.
Urteil nicht in Sicht
Ein dreiköpfiges Berufungsgericht in Washington (zwei von Biden berufene Richter und eine vom früheren republikanischen Präsidenten Georg H.W. Bush ernannte Juristin) brütet seit fast vier Wochen darüber, ein Urteil ist aber nicht in Sicht.
Fiele es, was allgemein erwartet wird, negativ für Trump aus, haben seine Anwälte 30 Tage Zeit, vor dem kompletten Berufungsgericht Einspruch einzulegen. Verlören sie auch dort, blieben fast drei Monate Zeit, um den Obersten Gerichtshof anzurufen. Hieße: Sommer 2024. Dann, wenn Trump im Juli in Milwaukee offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekrönt werden will. Ob (und wenn ja, wann) der Supreme Court entscheidet, steht in den Sternen.
Generell gilt: Je näher eine Prozess-Eröffnung an den Wahltermin heranrücken würde, desto problematischer für die Justiz, die von Trump ohnehin einer politisch motivierten Hexenjagd beschuldigt wird. 60 Tage vor der Wahl gelten juristische Untersuchungen gegen Präsidentschaftskandidaten ohnehin als „no-go”.
Noch düsterer stehen die Chancen für das zuletzt für den 20. Mai anvisierte Verfahren wegen der unsachgemäßen Aufbewahrung von Staatsgeheimnissen, die Trump monatelang in seinem Privat-Wohnsitz Mar-a-Lago deponiert hatte, zum Teil in Abstellkammern und Badezimmern. Hier hat die von Trump ernannte Bundesrichter Aileen Cannon zuletzt mehrfach zeitverzögernd im Sinne des 77-Jährigen entschieden. Insider gehen in diesem Jahr nicht mehr von einem Prozessbeginn aus.
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Bliebe also noch das grob für den Sommer geplante Großverfahren wegen organisierter Kriminalität zur Wahlmanipulation gegen Trump und rund 20 hochkarätige Komplizen, das der Bundesstaat Georgia angestrengt hat. In dem Fall liegen laut Juristen die „klarsten Indizien" gegen Trump vor. Er hatte Ende 2020 den obersten Wahlbeamten des Bundesstaates am Telefon unverhohlen dazu aufgefordert, nachträglich 11 000 Stimmen aufzutreiben, um den Wahlsieg Bidens zu neutralisieren.
Ob der Fall jemals zeitnah vor eine Geschworenen-Jury gelangt, ist allerdings fraglich. Die federführende Bezirks-Staatsanwältin Fani Willis hat sich durch eine außereheliche Affäre mit einem ihrer Sonder-Staatsanwälte in der Causa Trump anfechtbar gemacht. Sie streitet einen Interessenkonflikt ab. Ihre Abberufung oder gar die Einstellung des gesamten Verfahrens ist aber nicht auszuschließen. „Vor der Präsidentschaftswahl wird das mit einiger Sicherheit nichts mehr”, erklären Analysten im US-Fernsehen.
Käme alles so, würde Trump nach jetzigem Stand ab 25. März allein in New York vor dem Strafrichter erscheinen müssen. Dort steht die steuerlich illegal verbuchte Schweigegeldzahlung von 130 000 Dollar an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels auf der Tagesordnung, die mit Trump vor vielen Jahren eine Sex-Affäre gehabt haben will.
Im Vergleich zu den anderen Vorwürfen, die sich auf über 90 Anklagepunkte beziehen, die bei einer Verurteilung für Trump Haft bis ans Lebensende bedeuten können, gilt der Fall Stormy Daniels unter Juristen als minderwertig bis läppisch. „Selbst im Fall eines Schuldspruchs wäre keine flächendeckende Abkehr seiner Wähler zu erwarten”, sagte ein Strafverteidiger in Washington dieser Zeitung.
Auch hier gibt es einen zentralen Vorbehalt: Richter Juan Merchan wird erst nach einer Anhörung am 15. Februar entscheiden, ob der Prozess tatsächlich am 25. März beginnen kann.
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