Damit hatte Premierminister Justin Trudeau wohl nicht gerechnet, als er Mitte August Neuwahlen in Kanada ausrief: Damals lag seine liberale Partei in Umfragen deutlich vor der konservativen Opposition. Die vorgezogene Wahl – regulär wäre erst 2023 gewählt worden – schien eine gute Gelegenheit, der ungeliebten Minderheitsregierung zu entkommen und mit eigener Mehrheit regieren zu können.
Glaubt man jedoch den letzten Umfragen vor der heutigen Wahl, zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trudeau und dem konservativen Kontrahenten Erin O'Toole ab.
Trudeau habe mit der Ausrufung von Neuwahlen seine eigenen politischen Interessen über das Wohlergehen tausender Menschen gestellt, so die Kritiker: Kanada erlebt aktuell eine vierte Corona-Welle, mehr als 4.000 Neuinfektionen werden täglich im flächenmäßig zweitgrößten Land der Erde mit knapp 38 Millionen Einwohnern gemeldet. Viele Menschen haben ihren Job verloren, die Einkommensungleichheit hat sich verschärft.
Ziel verfehlt
Auch die humanitäre Krise in Afghanistan ist Thema: „Als die Taliban die Macht übernahmen, warteten 1.200 Kanadier vor Ort auf Hilfe. Was hat Trudeau gemacht? Er rief Neuwahlen aus“, kritisierte O’Toole in einem TV-Duell.
Ebenfalls nicht in die Karten spielten Trudeau die Leichenfunde indigener Kinder im Frühsommer.
Trudeau regiert das Land seit 2015, seit 2019 in einer Minderheitsregierung. Letzteres stellt sich ein, wenn eine Partei keine absolute Mehrheit von 170 Mandaten im Parlament erringen kann. 2019 erhielten die Liberalen 157, die Konservativen errangen 121 Sitze. So oder so zeichnet sich auch diesmal keine absolute Mehrheit ab – für keine der Großparteien. Trudeau dürfte sein eigentliches Wahlziel somit verfehlen.
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