Wie Tausende indigene Kinder in Kanada verschwanden

Wie Tausende indigene Kinder in Kanada verschwanden
Die Funde von Massengräbern nahe Internaten für minderjährige Ureinwohner reißen alte Wunden auf. Der Historiker Manuel Menrath erklärt, wie es dazu kam und was jetzt getan werden muss.

In Kanada wurden in den vergangenen Wochen in der Nähe von ehemaligen Internaten für indigene Kinder Tausende anonyme Massengräber  entdeckt. Sie sorgen seither für Entsetzen und das Aufreißen alter Wunden.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind mehr als 150.000 Kinder von Indigenen von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt worden, um in staatlich-kirchlichen Heimen an die weiße Mehrheitsgesellschaft angepasst zu werden. Viele von ihnen sind in den Heimen misshandelt oder sexuell missbraucht worden. Mindestens 4.000 von ihnen sollen in den Schulen gestorben sein. Viele an Tuberkulose oder anderen Krankheiten, aber auch an den Misshandlungen von meist geistlichen Aufsehern. Die letzten dieser Schulen sind erst in den 1990er Jahren geschlossen worden.

Wie Tausende indigene Kinder in Kanada verschwanden

So beteten indigene Buben in einer Residential School rund um 1950 in Ontario, Kanada

Der Schweizer Historiker Manuel Menrath von der Universität Luzern hat sich eingehend mit der Vergangenheit und Gegenwart indigener Völker in Kanada beschäftigt. In seinem Buch "Unter dem Nordlicht" kommen Indigene selbst zu Wort. Menrath hat mit über hundert Angehörigen der First Nations gesprochen, die ihm auch von ihrer Zeit in den "Residential Schools" erzählt haben, geprägt von (sexuellem) Missbrauch, Gewalt und Angst.

Wie haben indigene Völker in Kanada gelebt, bevor Europäer kamen?

Es gab zahlreiche indigene Nationen bzw. Gemeinschaften. Auch die Grenze zwischen USA und Kanada gab es ja nicht. Es gab mindestens 60 verschiedene Sprachen mit hunderten Dialekten, verschiedene Traditionen, verschiedene Weltbilder. Alle waren durch ein großes Handelssystem miteinander verbunden. In der Nähe des heutigen St. Louis war das Handelszentrum Cahokia mit rund 60.000 Einwohnern. Dort hat man später Ausgrabungen gemacht, da fanden sich Gegenstände vom Golf von Mexiko bis zum Atlantik und Pazifik.
Die Städte, das Handelssystem haben nicht die Europäer erfunden. Es gab Spannungen, territoriale Auseinandersetzungen. Aber grundsätzlich lebten die Menschen in einer komplexen intakten Welt.

Was passierte dann? Wann sind die Europäer gekommen?

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