Eine Welle von Filz- und Korruptionsvorwürfen stürzt derzeit auf den britischen Premier Boris Johnson und seine Tory-Partei ein. Der Begriff "sleaze", also "Filz" oder "Skandale", das den Konservativen schon in den 1990ern schadete, ist wieder allgegenwärtig.
Selbst in den eigenen Reihen wird nun die Vetternwirtschaft, die die demokratische Tradition im Land untergrabe, angeprangert. Johnsons Regierung sei "unkonservativ" und "politisch korrupt", meinte etwa Ex-Premier John Major. Mit ihrer Mehrheit im Unterhaus erinnerten die Tories an "Verhalten, das ich von der Duma in Moskau oder dem Volkskongress in Peking erwarten würde", kritisierte eine liberale Abgeordnete. Und Unterhaus-Sprecher Lindsay Hoyle warnte, Briten könnten das Parlament bald als "Diktatur" wahrnehmen und sprach von einer "sehr dunklen Woche" für die Legislative.
Damit meinte er den Korruptionsskandal um Tory-Mandatar Owen Paterson, der nebenbei einen Covid-Testhersteller beriet, der Regierungsverträge in Millionenhöhe bekam. Laut überparteilichem Ausschuss sollte er wegen unzulässigen Lobbyings suspendiert werden. Die Tories stoppten das in einer Abstimmung und wollten das Disziplinarverfahren gleich völlig ändern. Das brachte Kritik von allen Seiten, sie wollten Gesetzgeber, Richter und Henker in einem sein.
Parlamentarier mit lukrativen Nebenjobs, zum Beispiel Ex-Tory-Boss Iain Duncan Smith, stehen im Kreuzfeuer. Einer von ihnen, Geoffrey Cox, verdiente vergangenes Jahr etwa eine Million Pfund (1,17 Mio. Euro) als Rechtsberater. Dass er wegen Corona-Restriktionen auch von der Karibik aus arbeitete und im Parlament virtuell abstimmte, war nicht illegal – dass er aber die Britischen Jungferninseln zum Thema Korruption berät, klang wie eine Farce. Jetzt hat die Labour Partei eine Untersuchung beantragt, weil Cox entgegen der Regeln seinen Nebenjob auch im Parlamentsbüro ausgeübt haben soll. Am Mittwoch trat dann auch noch Andrew Bowie als Vize-Vorsitzender der Tories zurück, dem Guardian zufolge auch aus Protest gegen Filz.
"Flucht" nach Schottland
Johnson hat den Ruf, nie lange unter Skandalen zu leiden, aber die derzeitige Lawine scheint an seinem Image zu kratzen. Laut einer Opinium-Umfrage ist sein Ruf bei Wählern auf ein Rekordtief gefallen: Nur 30 Prozent billigen seine Arbeit, 50 Prozent tun das nicht; 47 Prozent halten ihn für korrupt.
Vielleicht schwänzte Johnson deshalb eine Unterhaus-Debatte am Montag und besuchte lieber ein Spital. Am Mittwoch eilte er nach Glasgow, um vor einem Scheitern des Klimagipfels COP26 zu warnen. Viele sahen auch das als Ablenkungsmanöver. "COP out", titelte die Sun mit dem englischen Ausdruck für "sich drücken" – "Johnson flieht vor der Filz-Misere". Und ein ungenannter Tory meinte laut Sun: "Es muss schlimm sein, wenn der (dort unpopuläre) Premier Schottland als sicherer ansieht als die Downing Street."
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