Das Kalifat wurde zerstört. Aber die Organisation IS als solche ist weit davon entfernt, tot zu sein. Sie bezieht Geld aus früheren Investitionen. Der „Islamische Staat“ hat im Irak und in Syrien noch immer bis zu 10.000 Kämpfer, und er kann sich auf eine Art dezentralisiertes Franchisesystem in Afrika stützen. Wenn wir nicht wachsam sind, kann sich die Gruppe wieder als eine Art „Mini-Kalifat“ neu erfinden, etwa in der Sahelzone oder in Mosambik. Der Geist des IS ist aus der Flasche.
Wie kann man sich auf europäischer Ebene schützen?
Darauf gibt es drei Antworten: Die klassische Zusammenarbeit der europäischen Polizei- und Sicherheitskräfte an und innerhalb der Schengen-Grenzen. Hier haben wir in den vergangenen Jahren große Fortschritte erzielt. Dann brauchen wir eine stärkere Regulierung des Internets: So sollen etwa terroristische Inhalte nach spätestens einer Stunde aus dem Netz entfernt werden. Und die dritte Antwort: Wir müssen die dahinterstehenden extremistischen Ideologien erkennen und bekämpfen.
Meinen Sie damit das, was die österreichische Regierung als Kampf gegen den „politischen Islam“ versteht?
Wie der Islam ausgelegt wird, ist keine Aufgabe einer Regierung. Aber sie kann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich eine extremistische Interpretation wie der Salafismus, wie er von einigen Golfstaaten unterstützt wird, nicht immer breiter macht. Man kann die Finanzierung von außen stoppen. Der Islam hat eine große Bandbreite verschiedener Interpretationsschulen. Wir sollten diese Vielfalt wieder ermöglichen.
Zwischen Strafverfolgern und Datenschützern ist ein wilder Streit entbrannt: Soll die Verschlüsselung von WhatsApp, Telegramm und Co., mit denen Terroristen nachweislich kommuniziert haben, aufgehoben werden? Ich bezweifle, dass die EU-Kommission morgen im Rahmen ihrer neuen Digitalgesetze solch ein Verschlüsselungsverbot vorlegen wird. Wir brauchen Verschlüsselung, um unsere privaten Daten zu schützen. Aber gleichzeitig ist es verrückt, dass Strafvollzugsbehörden Zugang zu SMS-Botschaften erhalten, nicht aber zu solchen bei WhatsApp – auch wenn es sich um den gleichen Inhalt handelt. Wir können es nicht erlauben, dass unsere Behörden völlig blind werden.
Was also wäre zu tun?
Mit richterlicher Genehmigung müssten die IT-Unternehmen die angefragten Informationen entschlüsseln und freigeben. Sie müssen einen Weg finden, sodass das funktioniert. Und das hat nichts mit „Big Brother“ zu tun, wie mir das neuerdings vorgeworfen wird.
Und wie umgehen mit den Dschihad-Rückkehrern? Den vielen, die jetzt in europäischen Gefängnissen sitzen und in den nächsten Jahren freikommen werden?
Man kann vielleicht zehn Personen rund um die Uhr überwachen, aber sicher nicht Hunderte ehemalige Kämpfer, die nach Ende ihrer Gefängnisstrafe freikommen. Was also tun? Elektronische Fußfesseln, Big-Data-Analyse? Ihnen vorgeben, wann und wo sie sich zu melden haben? Es gibt viele verschiedene Vorgehensweisen. Das Wichtigste ist: Risiko-Abschätzung.
Das hatten wir doch in Österreich: Der Attentäter war sogar in einem De-Radikalisierungsprogramm.
Ich bin der Letzte, der hier etwas kritisiert. Denn bisher hat noch kein Staat die perfekte Lösung für De-Radikalisierung gefunden. Der Umgang mit den zurückgekehrten ausländischen Kämpfern ist für alle Staaten eine Herausforderung. Die EU-Kommission unterstützt Studien, die bestmöglichen Methoden für eine Risiko-Abschätzung noch in den Gefängnissen zu finden. Extrem wichtig ist es auch, mit der Re-Integration der zurückgekehrten Dschihadisten in die Gesellschaft noch während der Haftzeit zu beginnen.
Anti-Terror-Experten behaupten: Die beste Methode der Terrorbekämpfung sei jene, zu verhindern, dass Menschen überhaupt erst zu Terroristen werden: Sehen Sie das auch so?
Es gibt viele Thesen unter den Experten, warum jemand zum islamistischen Terroristen wird: Da wäre die Ideologie, also extremistische Interpretationen des Islam. Dann soziologische Gründe – Ausgegrenzt-Sein, Arbeitslosigkeit – oder die empfundene Ungerechtigkeit gegenüber den Palästinensern oder die Wut auf die USA, die in den Irak einmarschiert sind. Dann gibt es auch noch die These von den Nihilisten, die ihrem Leben durch ein Selbstmordattentat Bedeutung geben wollen.
Ich denke, für jede Person spielen all diese Faktoren eine unterschiedlich große Rolle. Um künftige Terroristen zu verhindern, müssen wir also an allen Faktoren arbeiten: Das heißt, wir müssen den sozial Marginalisierten dabei helfen, die soziale Leiter höher zu klettern. Aber wir müssen auch den ideologischen Einfluss von außen zurückdrängen.
Kommentare