Terror und Corona: Brisanter Papstbesuch im Irak
Dieser Tage prägen äußerst ungewöhnliche Bilder die irakische Hauptstadt Bagdad: Porträts von Papst Franziskus erinnern auf Hauswänden und auf Plakaten an Straßenlaternen daran, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche ab Freitag zu einem historischen, dreitägigen Besuch im Zweistromland (zu 98 Prozent muslimisch) erwartet wird – eine Visite in der Wiege der Christenheit, die sicherheitstechnisch ein Drahtseilakt ist und das mitten in der Corona-Pandemie.
„Ich bin der Hirte von Menschen, die leiden“, sagte der Pontifex vor dem Abflug zu seiner 33. Auslandsreise (der ersten seit 15 Monaten). Und sprach damit die triste Lage der Minderheit der Christen im Irak an. Seit Jahren werden diese ermordet, verfolgt und vertrieben. Franziskus, 84, will in dieser schwierigen Lage ein Zeichen setzen – als erster Papst überhaupt bricht er in den Irak auf.
Dramatischer Exodus
1,5 Millionen Christen lebten Schätzungen zu Folge vor dem Einmarsch der USA zum Sturz von Diktator Saddam Hussein im Zweistromland. In den von Rechtlosigkeit geprägten Folgejahren gerieten die Gläubigen zwischen alle Fronten, die sich entlang religiöser (Sunniten versus Schiiten) und Stammesgrenzen aufbauten. Und schließlich überrollten auch noch die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) die traditionellen christlichen Kerngebiete im Norden. Ein Exodus unfassbaren Ausmaßes setzte ein, nur Wenige kamen bisher zurück. Heute leben im Irak wohl nur noch 300.000 Christen – bei knapp 40 Millionen Einwohnern.
„Die Menschen dieser Region sind die Wurzeln der Christenheit, wenn es dort keine Christen mehr gibt, werden die Christen ohne Wurzeln sein.“ Mit diesen Worten wandte sich der chaldäische Patriarch Kardinal Louis Raphael I. Sako im Vorfeld an den Papst. Dieser griff die Botschaft auf und will die schon sehr versprengte Herde zum Bleiben animieren.
Dazu wird er unter anderem auch Karakosh besuchen, die zuvor mit 50.000 Einwohnern größte rein christliche Stadt des Zweistromlandes. Wenige Wochen, ehe der IS diese 2014 eroberte, war der Autor dieser Zeilen in Karakosh gewesen. Damals schon war die Situation äußerst angespannt: Kirchgänger der Al-Tahira-Kathedrale wurden von privatem Sicherheitspersonal mit Kalaschnikows im Anschlag geschützt. Etwas später, nach der IS-Barbarei, lag das Gotteshaus in Trümmern. Jetzt wird es wieder aufgebaut und die Beharrlichkeit der Menschen mit dem Besuch von Franziskus gewürdigt.
40 Millionen
Menschen leben im Irak auf einer Fläche von rund 434.000 (mehr als fünf Mal Österreich). 98 % der Bevölkerung sind Muslime – rund zwei Drittel Schiiten (eher im Süden), ein Drittel ist sunnitischen Glaubens. Ein kleiner Rest sind Christen, Jesiden und andere Religionen
4.Jahrtausend v. Chr.
Hochkulturen reichen bis in diese Zeit zurück. Christliche Spuren finden sich schon im 1. Jahrhundert
2003 US-Einmarsch
Nach dem Sturz Saddam Husseins begann die Zeit des Terrors, der bis heute anhält. Nur in der Kurdenprovinz im Norden ist die Lage einigermaßen unter Kontrolle
Papst-Programm
Freitag: Treffen mit dem Präsidenten und Premier. Samstag: Begegnung mit Großayatollah al-Sistani in Najaf, interreligiöses Gebet in Ur. Messe in Bagdad. Sonntag: Gedenken der Kriegsopfer in Mossul, Besuch in der früher größten rein christlichen Stadt Karakosh, Messe in Erbil
Wobei der IS im Irak noch längst nicht ausgetilgt ist (siehe weiter unten). Erst Ende Jänner schlug ein Selbstmordattentäter in Bagdad zu – 32 Menschen wurden getötet. Dementsprechend groß sind die Schutzvorkehrungen für den Papst. Straßen wurden mit Betonblöcken abgeriegelt, unzählige Checkpoints errichtet. Zupass kommen den Sicherheitskräften die neuen rigiden Corona-Maßnahmen: Wegen der dramatisch gestiegenen Infektionszahlen – die Sieben-Tages-Inzidenz hat sich seit Anfang Februar verdreifacht – gilt an den Wochenenden ein Total-Lockdown, niemand darf auf die Straße.
Messe mit 10.000
In der autonomen Kurdenprovinz im Norden, die ihre eigene Gesetzgebung hat, ist das anders. Dort wird Franziskus, der ebenso wie seine gesamte Entourage gegen das Virus geimpft ist, in der „Kurden-Hauptstadt“ Erbil eine Messe mit 10.000 Teilnehmern feiern. Der Gottesdienst in dem 30.000 Menschen fassenden Franso-Hariri-Stadion wird auf Arabisch, Kurdisch, Englisch und Aramäisch – der Sprache Jesu – gehalten.
Doch nicht nur die Stärkung der Christen im Zweistromland, wo schon der Apostel Thomas das Evangelium verkündet haben soll, steht auf der Agenda des Papstes, sondern auch der Dialog der Religionen, speziell der mit den Muslimen. Höhepunkt in dieser Hinsicht: Ein Treffen mit Großayatollah Ali al-Sistani in der den Schiiten (sie machen rund zwei Drittel der Iraker aus, die Sunniten ein Drittel) heiligen Stadt Najaf. Der 90-Jährige gilt als die moralische Autorität im Land. Und in Ur, der Stadt Abrahams, den Christentum, Judentum und Islam als Stammvater ansehen, wird Franziskus mit Vertretern dieser drei großen monotheistischen Religionen sowie der Jesiden und anderer Gruppierungen zu einem Gebet zusammenkommen.
Einige Gruppen haben dafür nichts übrig.
Zerrissenes Land
Wieder Raketen auf Ain al-Assad, doch dieses Mal mit einem Todesopfer. Der US-Militärstützpunkt im Westirak wurde vor mehr als einem Jahr vom Iran beschossen – damals als Vergeltung für die Ermordung des Generals Qasem Soleimani. Mittwochfrüh waren es mutmaßlich schiitische Milizen, die zehn Raketen auf den Stützpunkt abfeuerten – womöglich als Vergeltung für das US-Bombardement ihrer Glaubens- und Waffenbrüder in Syrien.
Es scheint unvorstellbar, dass der Iran und die von den USA geführte Koalition gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) noch vor wenigen Jahren vielleicht nicht direkt gemeinsam, aber zumindest ohne sich gegenseitig zu behindern, gegen den gemeinsamen Feind kämpften. Und zumindest das Kalifat zerschlugen.
Besiegt ist der IS allerdings noch lange nicht: Allein im ersten Quartal des vergangenen Jahres verübten die Terroristen mehr als 700 Anschläge.
Und ein gewisser Teil der Iraker erinnert sich nicht ungern an die Zeiten unter der Terrormiliz. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist sunnitisch geprägt, lebt im Nordwesten des Landes. Seit dem Sturz Saddam Husseins begehrte die schiitische Mehrheit auf, schiitische Parteien sitzen mit großer Mehrheit im Parlament. Die sunnitische Minderheit fühlt sich durch einen aufkeimenden schiitischen Nationalismus bedroht, fürchtet den wachsenden Einfluss des Iran.
Selbst als der gewählte Premier Adil Abd el-Mahdi sich den landesweiten Protesten gegen eine zu starke iranische Einflussnahme beugte und zurücktrat, kehrte keine Ruhe ein.
Sein Nachfolger Mustafa al-Kadhimi gilt zwar als ambitioniert, doch bleibt auch er machtlos im Machtkampf zwischen den USA und dem Iran. Und den Streitigkeiten zwischen der schiitischen Bevölkerung. Während ein Teil Teheran nahesteht, ist der Iran vor allem bei schiitischen Nationalisten verhasst. Auch diese haben ihre Milizen. Und auch diese haben früher gegen den IS gekämpft, einige gelten gar als offizielle Sicherheitskräfte.
Wie schwierig Al-Kadhimis Kampf gegen dieses System ist, zeigte sich, als er knapp nach seinem Amtsantritt im Mai Mitglieder der Kata’ib Hisbollah festnehmen ließ – und fast alle kurz darauf wieder freilassen musste. Der Grund dafür ist nicht bekannt.
Es bleibt abzuwarten, wie Joe Biden auf den neuerlichen Anschlag auf eine US-Militärbasis reagiert. Ein weiterer Luftschlag könnte der Beginn einer neuen Gewaltspirale werden, während der IS seine Macht weiterhin ausbaut.
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