Taiwans Wahlsieger William Lai: China dürfte auf den "Separatisten" reagieren

Taiwans Wahlsieger William Lai: China dürfte auf den "Separatisten" reagieren
Vizepräsident William Lai feiert einen unerwartet deutlichen Sieg und steigt zum Präsidenten auf. Aus Sicht Chinas hat sich Taiwan damit für „Krieg“ entschieden.

Ein letztes Mal hatte China seine Muskeln spielen lassen. Als mehr als 19 Millionen Taiwaner sich am Samstagmorgen (Ortszeit) aufmachten, um einen neuen Präsidenten zu wählen, flogen zwei mutmaßliche Militär-Ballons vom Festland aus über die Insel hinweg. Es war der Schlussakt einer beispiellosen Reihe an militärischen Drohgebärden, mit denen Chinas Regierung dem Wahlvolk auf der Insel seit Monaten signalisierte: Wir schauen genau zu, wenn ihr eure kleine Präsidentenwahl durchführt.

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Die Taiwaner blieben davon unberührt, am Nachmittag schritt von Kaohsiung an der Südküste bis zur Millionen-Metropole Taipeh das außergewöhnlich transparente Auszählungsverfahren voran: Jedes einzelne Kuvert wird vor den Augen der Öffentlichkeit geöffnet, die Stimme verlesen und eingetragen. Wer wollte, konnte die Auszählung sogar online via Livestream mitverfolgen.

Deutlich früher als erwartet zeichnete sich dabei ab, was gegen 19:30 Uhr unter dem Jubel des „grünen“ politischen Lagers bestätigt wurde: Regierungskandidat Lai Ching-te, genannt William Lai, feierte mit mehr als 40 Prozent der Stimmen einen überraschend klaren Wahlsieg.

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Der amtierende Vizepräsident wird damit Anfang Mai zum Präsidenten aufsteigen und seiner seit acht Jahren regierenden Parteikollegin Tsai Ing-Wen nachfolgen. Es ist das erste Mal, dass eine Partei drei Amtszeiten in Folge den Präsidenten stellt.

Trotz Lais klarem Sieg in der Präsidentschaftswahl, verlor seine Partei die Mehrheit im Parlament.

Schwache Opposition

Lais deutlicher Wahlsieg gibt auch die außenpolitische Richtung für die nächsten Jahre vor: Die Opposition, die sich für einen freundlicheren Kurs gegenüber China eingesetzt hatte, um den großen Nachbarn zu besänftigen, ging leer aus. Hou Yu-ih von der nationalistisch-konservativen Kuomintang-Partei (KMT) gestand schon früh am Nachmittag seine Niederlage ein. Der Ex-Polizist verbeugte sich tief vor seinen Anhängern und erklärte: „Ich habe euch alle im Stich gelassen“.

Taiwans Wahlsieger William Lai: China dürfte auf den "Separatisten" reagieren

Hou Yu-ih (l.) von der nationalistisch-konservativen Kuomintang entschuldigte sich früh vor seinen Anhängern für das schwache Ergebnis.

Immerhin: Das Duell der Regierungskritiker hatte Hou mit rund 33 Prozent gegen den Populisten Ko Wen-je gewonnen, der mit seiner eigenen Bewegung angetreten war und auf fast 27 Prozent kam. Die mehr als 100 Jahre alte Kuomintang bleibt damit die politische Vertretung des „blauen Lagers“, also jener Taiwaner, die China noch als Mutterland betrachten.

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William Lai: Harvard-Absolvent, USA-Freund und "Separatist"

Die Regierung eben jenes „Mutterlandes“ hatte die Präsidentschaftswahl vorab zu einer „Wahl zwischen Krieg und Frieden“ erklärt. Mit dem deutlichen Wahlsieg Lais hat sich Taiwan aus Sicht der chinesischen Führung damit für Krieg entschieden.

Harvard-Absolvent Lai, der seinen Vater mit zwei Jahren bei einem Unfall in einer Mine verlor, gilt als großer US-Freund. Von chinesischen Staatsmedien wird er stets als „Separatist“ bezeichnet. Schon in seiner Siegerrede wandte sich Lai direkt an die Führung in Peking: „Ein globaler Frieden hängt vom Frieden in der Taiwanstraße ab“, so Lai. Er hoffe deshalb, dass auch China sich seiner Verantwortung bewusst sei.

In den nächsten Tagen wird mit einer Antwort aus Peking zu rechnen sein. Experten gehen davon aus, dass sie heftig ausfallen wird und gehen von militärischen Drohmanövern wie weiteren Luftraumverletzungen bis hin zu einer kurzfristigen Abschottung Taiwans durch die chinesische Marine aus. Kurz nach der Wahl hieß es aus Peking: Die „Wiedervereinigung“ sei „unausweichlich“.

Die ohnehin zerrüttete Beziehung zwischen Peking und Taipeh dürfte sich mit Lai an der Spitze weiter verschlechtern. Mittelfristig ist damit auch zu befürchten, dass sich der Konflikt zwischen China und den USA um die Insel weiter zuspitzt.

 

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