Warum Taiwan zum größten Chip-Lieferanten der Welt wurde - und es bleiben wird
Vom Smartphone bis zum Kampfjet: In fast jedem elektronischen Gerät sind Mikrochips aus Taiwan verbaut. Der Erfolg ist das Ergebnis eines politischen Plans - denn die Sonderstellung ist eine Sicherheitsgarantie für die Insel.
Auf den ersten Blick wirkt das weiße, siebenstöckige Bürogebäude wenig eindrucksvoll. Es ist sauber, keine Frage. Aber kaum jemand würde hier den Ort vermuteten, an dem der imaginäre „Silikonschild“ aufgespannt ist, der Taiwan vor einer chinesischen Invasion schützen soll.
Jahrzehntelang bestimmte eine Frage die Politik auf der Insel: Wie hält man einen größeren, stärkeren und immer feindseligeren Nachbarn davon ab, anzugreifen? Ein Wettrüsten würde man verlieren. Auf mächtige Verbündete müsste man sich im Zweifel verlassen können. Taiwans Lösung lautet daher: Man macht sich derart unersetzbar für die Welt, dass die Verbündeten gezwungen wären, zu helfen. Und der Nachbar es sich nicht erlauben kann, anzugreifen.
Der unscheinbare, siebenstöckige Glas- und Betonbau ist das Ergebnis dieser Unersetzbarkeit. Er ist das Verwaltungsgebäude des Hsinchu Science Park: Ein Industrieviertel in einem Vorort der Hauptstadt Taipeh, in dem sich sieben Universitäten und mehr als 400 Technologiekonzerne niedergelassen haben. 170.000 Menschen arbeiten hier, darunter 15.000 mit Doktortitel. Hier entsteht die Abhängigkeit, die Taiwans Sicherheit garantiert.
In diesem Artikel lesen Sie:
Wie groß der technologische Vorsprung Taiwans in der Elektronikindustrie ist
Wie es der Regierung gelang, einem Unternehmen - TSMC - diese Sonderstellung zu ermöglichen
Wie TSMC verhindert, dass andere Staaten oder Konzerne die Chiptechnologie nachbauen können
Taiwans enormer technologischer Vorsprung
Stolz weist Direktorin Lee Shu-Mei im Inneren des Büros auf das wichtigste Unternehmen im Science Park hin – die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, kurz: TSMC. Der Riesenkonzern ist heute der mit Abstand größte Hersteller von Halbleiterchips, einem essenziellen Bestandteil elektronischer Geräte.
"Sie sind überall, auch wenn man sie nicht sieht: In Küchenmaschinen, in Autos, in Smartphones", sagt Lee und betont: "Ohne Produkte von TSMC wäre unser modernes Leben nicht möglich".
Kein anderes Unternehmen kann so moderne Chips herstellen wie TSMC – und schon gar nicht in derselben Menge: 92 Prozent der weltweiten Spitzentechnologie werden mit Produkten aus Hsinchu betrieben. Selbst die chinesische Elektronikindustrie – die größte weltweit – bezieht 70 Prozent ihrer Halbleiter von TSMC.
Das ist – in Anspielung an das kalifornische Silicon Valley – der sogenannte Silikonschild: Bevor Chinas Machthaber Xi Jinping den Angriffsbefehl geben kann, muss er sich sicher sein, dass die eigene Wirtschaft ohne Produkte aus Taiwan überleben könnte. Aktuell kann sie das nicht.
Umso wichtiger ist es daher aus Sicht Taiwans, dass TSMC seinen technologischen Vorsprung behält. Um Industriediebstahl vorzubeugen, ist in den millimetergroßen Chips deshalb ein Mechanismus verbaut, der die Halbleiter-Schaltkreise zerstört, wenn der Chip auseinandergenommen wird. Die Produktion in andere Länder auszulagern, kam aus Gründen der nationalen Sicherheit ohnehin lange nicht infrage.
Taiwans Verbündete nahmen das problemlos in Kauf. Erst die Corona-Pandemie ließ sie umdenken: Als im Frühjahr 2020 die Häfen in China stillstanden und somit keine Halbleiter aus dem benachbarten Taiwan verschifft werden konnten, erkannte die Welt, wie problematisch es sein kann, entscheidende Technologie an einem Ort zu bündeln. Ohne Chips von TSMC verzögerten sich die Lieferungen von E-Autos, Handys und Spielkonsolen um Monate.
TSMC errichtet deshalb erstmals drei Standorte – in Deutschland (Dresden), Japan und den USA. Die modernsten Halbleiterchips werden aber auch in Zukunft in Taiwan produziert.
"24-Stunden-Schichten sind für unsere Ingenieure normal"
Eine gute Autostunde von Hsinchu entfernt, im Regierungsviertel von Taipeh, sieht Connie Chang die technologische Vormachtstellung Taiwans auch als politischen Erfolg. Als Generaldirektorin des nationalen Entwicklungsrats verwaltet sie Investitionen aus dem Staatsfonds.
Ganze 48 Prozent aller staatlichen Investitionen gingen 2022 an TSMC, um den Silikonschild aufrechtzuerhalten. Auch in die Universitäten und Forschungszentren im Science Park fließen jährlich Milliarden. "So sichern wir einen Wirtschaftsstandort, mit dem andere Länder nicht mithalten können."
Doch die hohen Investitionen seien Chang zufolge nicht der einzige Grund für Taiwans Sonderstatus. Auch die Arbeitsmoral auf der Insel sei besonders: "Für unsere Ingenieure ist es ganz normal, auch mal drei Schichten hintereinander zu arbeiten, also 24 Stunden am Stück. Natürlich haben sie danach einen Tag frei."
Und was, wenn China angreift? "Haben einen Notfallplan"
Das Arbeitsrecht in Taiwan macht das möglich. Nur so könne man im internationalen Vergleich "kompetitiv" bleiben, meint Chang. Dass die Gewerkschaften "nicht so stark sind, anders als in Europa", sei Fluch und Segen zugleich. Natürlich sei das Durchschnittseinkommen am Technologiestandort Hsinchu mit Abstand das höchste Taiwans.
Und was würde mit diesem Standort geschehen, wenn China doch angreifen sollte? "Natürlich haben wir für dieses Szenario einen Notfallplan vorbereitet", so Chang. Mehr will sie nicht sagen. Und verweist darauf, worauf man bei Gesprächen über Taiwans Wirtschaft immer wieder zurückkommt: Die nationale Sicherheit.
Dieser Artikel entstand als Ergebnis einer Pressereise auf Einladung des taiwanischen Außenministeriums. Eine Woche lang trafen 19 Journalistinnen und Journalisten aus 16 Ländern auf Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Der KURIER war als einziges österreichisches Medium vertreten.
(kurier.at, jar)
|
Aktualisiert am 06.11.2023, 11:42
Kommentare