Taiwan oder der 10 Billionen-Dollar-Hochrisiko-Poker

Wahlkampfveranstaltung für William Lai, Vizepräsident der regierenden DPP
In unserer Reihe "Warum sollte mich das interessieren?" behandeln Ingrid Steiner-Gashi und Evelyn Peternel Themen, die manchmal noch weit weg erscheinen, für jede und jeden hier in Österreich jedoch große Bedeutung haben.
Von einem gewaltigen Truppenaufmarsch, wie ihn Russland Monate vor dem Überfall auf die Ukraine vollzogen hat, ist derzeit an Chinas Küste nichts zu sehen. Keine Panzerkolonnen, keine Armee-Zeltstädte, kein Flugzeugträger, keine Feldspitäler.
Der Krieg Chinas gegen Taiwan, die militärische Eroberung der Insel, wird nicht morgen passieren, nicht nächste Woche und auch nicht nächsten Monat. Dafür müsste die Volksrepublik schon ganz andere militärische Drohgebärden vollführen. Und auch wenn chinesische Tarnkappenjets in den taiwanesischen Luftraum eindringen – den China trotzig als seinen eigenen bezeichnet – regt das mittlerweile niemanden mehr so richtig auf. Es gehört zu den fast schon alltäglichen, kraftmeierischen Demütigungen, die Peking Taiwan spüren lässt.
Aber das war es auch schon mit den guten Nachrichten. Am Samstag wird auf Taiwan gewählt. Das könnte ein völlig unspektakulärer Urnengang sein und müsste in Europa niemanden groß interessieren – schließlich leben die 24 Millionen Einwohner in einer lebendigen Demokratie, sie haben mehrere friedliche Machtwechsel hinter sich.
➤ Mehr lesen: China-Experte Mikko Huotari: "Die Taiwan-Frage ist eine zutiefst persönliche für Xi Jinping"
Das Problem aber ist das große Reich der Mitte - das nicht jedes Wahlergebnis auf der kleinen, nur 180 Kilometer entfernten Insel goutiert. Drei Präsidentschaftskandidaten stehen dort zur Wahl: Mit den beiden Oppositionellen könnte Peking - vorerst – mehr oder weniger gut leben.
Wahlfavorit Lai Ching-te, auch genannt William Lai, schmeckt Peking hingegen gar nicht.

Wahlfavorit Lai Ching-te, auch genannt William Lai,
Der aktuelle Vizepräsident steht aus der Sicht Pekings viel zu nahe bei den USA und tritt für viel zu viel Abstand von China ein. Von einer Unabhängigkeit der Insel redet aber nicht einmal William Lai – er weiß genau: Für China wäre das ein Kriegsgrund.
Chinas Trolle
Warum dann überziehen Pekings Trolle die Insel mit fake news, hetzten gegen Lai und drohen gar nicht besonders dezent mit Kriegsszenarien? Für Chinas allmächtigen Staatschef Xi Jinping ist es ein Pflichtprogramm: Taiwan und China müssen wiedervereinigt werden, bevorzugt friedlich – aber wenn das nicht geht, dann früher oder später auch mit Gewalt.
Und ein möglicher Wahlsieger William Lai, das ist aus der Perspektive Pekings einer, der die Insel in die falsche Richtung führt.

Chinas Staatschef Xi Jinping
Seeblockade
Leider kann das chinesische Grollen in Richtung Taiwan auch in Österreich niemandem so egal sein, als ob in China ein Reissack umfiele.
Da würde schon eine chinesische Seeblockade gegen die Insel reichen – und bei uns schießen wieder die Preise in lichte Höhen. Denn die Gewässer der Taiwan-Staße gehören zu den wichtigsten Seerouten: Fast die Hälfte aller Containerschiffe der Welt fahren zwischen der Volksrepublik und der freien Insel hindurch.
➤ Mehr Reportagen aus Taipeh: Wie China versucht, die Taiwan-Wahl zu beeinflussen
Aber noch viel fataler: Weitgehend blockiert wäre auch der Export von Halbleitern aus Taiwan, dem mit Abstand weltweit größten Hersteller von Mikrochips. Das Land produziert mehr als 70 Prozent der Halbleiter weltweit, und mehr als 90 Prozent der allermodernsten Chips.
Ohne diese aber geht in der Technik nichts mehr; sie stecken in fast allem: Smartphones, Laptops, Autos, Kühlschränke, Fernseher, Maschinen, Waffen.
China würde sich damit ins eigene Fleisch schneiden. Durch den totalen Handelsstopp mit Taiwan würde Chinas BIP im ersten Jahr um fast 9 Prozent einbrechen, haben Experten der Wirtschaftsagentur Bloomberg errechnet. Sogar die weltweite Wirtschaftsleistung würde um 5 Prozent sinken.
Aber das Beispiel Russland hat bewiesen: Was vernünftig gewesen wäre, nämlich tunlichst alle Finger von einem verheerenden Krieg gegen die Ukraine zu lassen, muss noch lange nicht Ziel des Kremlherrn sein. Und so sollte man auch im Fall Chinas nicht blind darauf vertrauen, dass die Vernunft in der Taiwan-Frage in Peking siegt.
10.000.000.000.000. Dollar
So richtig schlimm aber wäre ein militärischer Überfall Chinas. Dass die USA dann einfach nur zusehen, gilt als ausgeschlossen. Immer wieder hat US-Präsident Joe Biden versichert : "Ja" – im Angriffsfall würden die Vereinigten Staaten Taiwan beistehen. Auf dem Papier wären sie wegen eines 40 Jahre alten Abkommens ohnehin dazu verpflichtet.
Was dann auf die Welt zukäme, wäre von den wirtschaftlichen Folgen her gesehen katastrophaler als Covid-Pandemie und Ukraine-Krieg zusammen: 10 Billiarden, also 10.000 Milliarden Dollar betrüge der Schaden – in etwa ein Zehntel der weltweiten Wirtschaftsleistung. Chinas BIP würde um knapp 17 Prozent sinken, jenes von Taiwan um verheerende 40 Prozent und das der USA um 6,7 Prozent: Wie die Experten bei Bloomberg errechneten, würde bei diesem Szenario nicht nur der gesamte Handel mit China einbrechen, auch jener mit Japan, Südkorea und den meisten anderen südostasiatischen Staaten würde schwer leiden. So heftig also wären die Folgen, dass so mancher China-Experte darauf hofft: Vor solch einer Katastrophe werde Peking doch wohl zurückschrecken.
Bleibt noch der letzte unsichere Kantonist in diesem geopolitischen Hochrisiko-Poker: Die USA beziehungsweise deren Präsident. So viele offene Fragen: Gibt Biden angesichts all der anderen Kriege dem Druck Chinas nach - oder drängt ihn ein polternder Donald Trump im Wahlkampf zu einer Überreaktion?

US-Präsident Joe Biden
Würde ein US-Präsident Trump Taiwan nicht verteidigen, wie er schon in seiner ersten Amtszeit versichert hatte? Oder würde er die bedrängte Insel gegen China nutzen?
Millionen Taiwaner werden jedenfalls am Samstag an die Urnen gehen – aber über Krieg und Frieden auf ihrer Insel, über die daraus resultierenden Folgen für die ganze Welt – darüber entscheiden andere.
Kommentare