Tag der Roma: Ein Leben im Teufelskreis

Das Leben in den Mahalas ist ein Leben außerhalb der Gesellschaft
Seit Hunderten von Jahren werden Roma in Europa diskriminiert. In den bulgarischen Armenvierteln aber geht es um mehr als um alte Vorurteile.

Vanja (Name geändert, Anm.) weiß genau, was sie will. „Dass wir wie normale Menschen leben können.“ Und sie weiß auch genau, was sie nicht will. Nämlich in Bulgarien bleiben. 

Die 30-Jährige ist eine Romni. Ebenso wie ihr Mann und ihre sechs Kinder. Die Familie lebt in dem kleinen Dorf Malki Iskar, eineinhalb Autostunden von der Hauptstadt Sofia entfernt. Viel lieber würde Vanja aber woanders wohnen. Nämlich in Deutschland. Denn das Leben in Bulgarien verbittert sie. „Wenn du eine Romni bist, hast du keine Chance“, sagt Vanja. Und wirft einen weiteren Holzscheit in den Ofen des zugigen Ziegelbaus, in dem sie und ihre Familie auf engstem Raum leben.

 

Über 600 Jahren in Europa

So wie Vanja denken viele Roma. Nicht nur in Bulgarien. Über 600 Jahre leben  sie bereits in Europa, ohne jemals richtig in der Gesellschaft angekommen zu sein. Ein wanderndes Volk, wie ein altes Klischee besagt, ist der Großteil von ihnen schon lange nicht mehr. Aber Vorurteile haben eine lange Halbwertszeit. Und sie sind auch 2024 noch in vielen Köpfen verankert.

Diskriminierung aber ist keine Kopfsache. Und im Falle von Bulgarien wird damit  ganz bewusst Politik gemacht.  Der Staat macht sich die Vorbehalte, die bei den Bulgaren gegen die Roma herrschen, konsequent zunutze. 

Trauriger Höhepunkt der letzten Jahre: die Corona-Pandemie, für die man die Roma verantwortlich machte. Sie wurden von der Polizei  in den Armenvierteln, den sogenannten Mahalas (ironischerweise ein alter Ausdruck für Nachbarschaft), eingesperrt. Aber auch im Wahlkampf  stehen Angriffe gegen die Roma auf der Tagesordnung: Seit 2021 fanden in Bulgarien fünf  Parlamentswahlen statt. Jedes Mal gingen Politiker  mit der Zerstörung der Elendsviertel der Roma auf Stimmenfang.

Hautton und Zahnstellung

Und bei den Bürgermeisterwahlen in Sofia im vergangenen Herbst rückte die Herkunft der Kandidatin Vanja Grigorova in den Fokus. Oder besser gesagt ihr Hautton und ihre Zahnstellung – denn damit wollte man sie als Romni kenntlich machen. 
Die Roma sind also ein Feindbild, das den politischen Kräften in die Karten spielt. Und deren Ausgrenzung somit zum System macht.

Daran hat auch der EU-Beitritt 2007 nichts geändert. Selbst bei  Gesprächen in höchsten Regierungskreisen kriegt man zu hören: „Die Roma wollen sich nicht integrieren.“  Wobei sich  Bulgarien diese Haltung eigentlich gar nicht leisten kann; denn die Wirtschaft wächst, während immer mehr Menschen das Land verlassen –  darunter auch viele Roma. „Humankapital“ also,  das man  bewusst  aus dem Land vertreibt. 

„Die Regierung macht keine Anstalten, die Roma besser zu integrieren“, sagt Georgi Bogdanov, Direktor des National Children’s Network. Jahr für Jahr bewertet seine Organisation die politische Arbeit, die für Roma-Kinder geleistet wird.

Mit dem traurigen Ergebnis, dass der Regierung noch nie ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde. Und mit der Konsequenz, dass sich die meisten Roma ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle fügen. „Erlernte Armut“ nennen Experten jenes Phänomen, mit dem sie seit Generationen hadern.

Tag der Roma: Ein Leben im Teufelskreis

„Mein Traum ist, dass wir wie normale Menschen leben können“, sagt Vanja aus Bulgarien

In den Mahalas leben die Roma  abgeschottet und zumeist illegal. Keine Adresse, keine ID. Wie viele von ihnen überhaupt in Bulgarien leben? Das  kann nur geschätzt werden. Viele  Familien sind  noch jung und kinderreich, die Eltern oft überfordert. Gewalt und Missbrauch sind  keine Seltenheit, ebenso wie Kinder, die  zurückgelassen wurden.

Selbstredend, dass ein Schulbesuch oft nur ein Wunschtraum bleibt. Und wenn die Roma-Kinder es gegen alle Widerstände  doch auf die Schulbank schaffen, dann werden sie in eigenen Gipsy Schools unterrichtet – bulgarische Kinder lernen sie gar nicht erst kennen.

Kinder geben Hoffnung

Dabei sind die Jüngsten der Gesellschaft die  große Hoffnung, wenn es darum geht, das Leben der Roma in Bulgarien zu verbessern. Denn am Spielplatz macht es noch keinen Unterschied, woher man kommt. NGOs,  allen voran die österreichischen Concordia Sozialprojekte, wollen ihnen den Zugang zu Bildung ermöglichen und Vorurteile schon im Kindesalter abbauen. Eine grundlegende Veränderung, die  bereits  viel Positives bewirkt hat – aber auch eine, die Zeit braucht.

Zu viel Zeit, wenn es nach Vanja geht. Sie  will ihren Kindern ein besseres Leben bieten. „Darum gehen wir nach Deutschland, sobald es geht“, sagt sie.  Und sie lässt nichts unversucht, um ihren Traum verwirklichen zu können: Gerade holt Vanja ihren Schulabschluss nach. Und sie besucht ein Concordia-Tageszentrum, wo sie beraten wird.

Mit dem Ziel, eines Tages doch noch ausbrechen. Aus einem Teufelskreis, der sich schon viel zu lange dreht.

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